Für ein Instrument ist es nie zu spät
Senioren von „Bella Musica“ suchen neue Keyboardspieler
Als Wolfgang Bressel in Pension ging, wollte er sich einen Jugendtraum erfüllen und endlich lernen, Keyboard zu spielen. Noten hatte er nie lesen können, aber sein Wille war entscheidend. Also kaufte er sich ein Keyboard, besuchte ein Semester lang eine Musikschule und gründete daraufhin eine Gruppe für Gleichgesinnte.
„Mein Vater war in Russland im Zweiten Weltkrieg. Er hat mir erzählt, dass er nur überlebt hat, weil er leidlich Geige und Trompete spielen konnte“, blickt der heute 85-Jährige zurück. Wer ein Instrument beherrschte, sei zur Ablenkung in Zeiten der Zerstörung besonders gefragt gewesen und habe dafür mehr zu essen bekommen. Zu seinen Kindern habe er daher immer gesagt: „Ihr müsst Musik spielen im Leben!“ Im fortgeschrittenen Alter nahm sich Bressel das zu Herzen. Seine Gruppe „Bella Musica“, die sich einmal wöchentlich in der Freizeitstätte Eduard Bernoth trifft, entstand durch Mundpropaganda. Ende der 90er-Jahre schloss er sich mit einem Nachbarn zusammen, der ebenfalls Keyboard lernen wollte. Im Bekanntenkreis fand sich ein versierter Lehrer, der ihnen viel beibringen konnte. Trotzdem scherzt Wolfgang Bressel auch heute noch: „Ich spiele mehr nach Gehör statt nach Noten. So höre ich meine eigenen Fehler nicht.“
Ähnlich ging es Wolfgang Streblow (80). Als er sich der Gruppe anschloss, habe er gar nichts gekonnt, sagt er. Nie zuvor hatte er ein Instrument gespielt. „Noten kann ich jetzt“, sagt er und Spaß macht es ihm auch. Grund dafür ist unter anderem, dass es bei „Bella Musica“ keinen Lehrer gibt. Einmal hätten sie es mit einem Lehrer versucht, wie Bressel berichtet. Der sei jedoch zu fordernd gewesen. Weil dadurch die Freude am Spielen verloren ging, trennten sie sich wieder. Jeder soll spielen dürfen, was er möchte. Die Songs werden von daheim mitgebracht. Meist Pop oder Schlager. „Live is life“ oder „Don’t cry for me Argentina“ sind darunter. Mit „La Paloma“ begann alles. Klaus Krug (73) gehörte ebenfalls zu den blutigen Anfängern, als er in Arbeitsteilzeit ging und „etwas Sinnvolles“ mit seiner neu gewonnenen Freizeit anstellen wollte. Vor etwa sechs Jahren stieß er zur Gruppe und brachte Bärbel Hoffmann (61) mit. Die beiden hatten zuvor in einem Shanty-Chor gesungen. „Ich habe ganz schön zu tun gehabt mit dem Keyboard“, sagt sie, obwohl sie bereits Bass und Gitarre spielen konnte.
Musikalische Vorkenntnisse hatte auch Heidi Blachut (76), die als Jugendliche an einer Orgel üben konnte. Auf „Bella Musica“ wurde sie vor vielen Jahren durch einen Beitrag in der Berliner Woche aufmerksam. Wolfgang Bressel hofft, dass sich auch diesmal ältere Hobbymusiker angesprochen fühlen und sich melden. Die Gruppe, zu der einst 15 Personen gehörten, ist mittlerweile auf sechs bis acht geschrumpft. „Wir möchten Leute, die genauso denken wie wir, sich entspannt hier reinsetzen und mit uns spielen“, meint er. „Man kann in jedem Alter anfangen zu lernen, man muss es nur wollen“, spricht Bärbel Hoffmann Mut zu. Bewiesen hat es auch Herbert Milz, der als "Alterspräsident" vorgestellt wird. Auch mit inzwischen 90 Jahren kommt er regelmäßig vorbei. Besonders schön am Keyboard sei, dass sich darauf ein komplettes Orchester zusammenstellen lasse und dass jeder in der eigenen Wohnung mit Kopfhörer spielen könne, ohne die Nachbarn zu nerven.
Wer Interesse hat, kann sich bei Wolfgang Streblow unter Telefon 773 66 83 oder bei der Leitung der Seniorenfreizeitstätte Eduard Bernoth, Marienfelder Allee 104, melden. Die Treffen sind kostenlos und finden freitags von 13.30 bis 17.30 Uhr statt. Wegen des Coronavirus ist das Haus jedoch vorerst bis zum 20. April geschlossen.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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