Denn sie wissen, was sie tun: Ernst Ottwalts Justizroman über das Moabiter Kriminalgericht
Das Jahr 2018 eignet sich für vielerlei Gedenken: an 1968 und die Kommune I, an die Revolution 1918 oder an die Weimarer Republik und ihre Geburtsfehler. Passend dazu sei an einen längst vergessenen Roman erinnert, dessen Lektüre unbedingt zu empfehlen ist. Im Mittelpunkt von Ernst Ottwalts Roman „Denn sie wissen was sie tun“ steht das Moabiter Kriminalgericht.
„Friedrich Wilhelm Dickmann ist im Begriff, sich bei der Staatsanwaltschaft zum Dienstantritt zu melden: ein feierlicher Augenblick! Protzige Türme, wie aus einem Bilderbuch herausgeschnitten, Bogenfenster, Butzenscheiben. Auf dem Dach in Reih und Glied ausgerichtet Statuen, die irgenwelche Eigentümlichkeiten des in diesem Hause geübten Handwerks symbolisieren: das Kriminalgericht, Sitz der Strafgerichtsbehörden Berlins.“
Friedrich Wilhelm Dickmann ist der „Held“ dieses Justizromans, der ein Tatsachenroman sein will und kein Phantasieprodukt. Landgerichtsrat Dickmann, „eine Gestalt mittlerer Größe. Die Gesichtsfarbe frisch. Die blauen Augen blicken ruhig über zwei runde Backen in eine Welt ohne Rätsel. Die Haut des Nackens wirft zwei wulstige Falten über dem Kragen“, geht jeden Morgen in das Ehrfurcht heischende Gebäude an der Turmstraße, um dort einer kleinen Strafkammer vorzusitzen und Urteile zu fällen, die das Versagen der Weimarer Justiz offenbaren.
Sämtliche geschilderten Rechtsfälle, Gerichtsverhandlungen, Urteile und Ereignisse sind belegt, ebenso die Schilderungen des inneren Betriebs des Gerichts. „Hallen, Treppen, Korridore. Eine Zimmertür: Herr Kollege! Und Dickmann ist eingeordnet in den ungeheuren Mechanismus, in diese wunderbar exakt funktionierende Maschinerie, in der alles menschliche Geschehen – Hunger, Leidenschaft, dunkle Triebe, Lebensglück und Menschenwert, Zukunftsangst und Vergangenheitsekel – gesiebt, gewogen und zu leicht befunden wird.“
Das Material für den Roman besorgte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Ottwalts Frau Waltraut Nicolas. Sie war Ende der 1920er-Jahre Gerichtsberichterstatterin für eine Zeitung und hatte Zugang zu den Prozessen und zu Akten.
Ottwalt erzählt von skandalösen Urteilssprüchen: „Ein Arbeiter erschießt einen Kappsoldaten während des Kampfes: Mord, fünfzehn Jahre Zuchthaus. Ein Arbeiter beschlagnahmt in einer Bäckerei Brot für seine Kameraden: Räuberische Erpressung. Fünfzehn Jahre Zuchthaus.“
„Denn sie wissen was sie tun“ ist 1931 im auf Avantgardekunst und kommunistische Literatur ausgerichteten Malik-Verlag erschienen. Ernst Ottwalt hatte Kontakte zum Kreis um den Verlag von Wieland Herzfelde. Es war sein zweiter Roman. Die erste Auflage betrug 6000 Exemplare. Eine weitere wurde gedruckt. Als der Roman erschien, urteilte Kurt Tucholsky, in Moabit geboren: „Es ist gut gesehen, wie die Rädchen des großen Unrechtsgetriebes ineinandergreifen, Akte auf Akte, Paragraph auf Paragraph, die Verantwortung ist in unendlich winzige Teile verteilt, zum Schluss ist es keiner gewesen.“
Das Ende des Romans verheißt nichts Gutes: „Dickmann gähnt. Dickmann will schlafen. Und tausende von deutschen Richtern werfen jetzt noch einen ruhigen Blick in das freundliche Dunkel ihres Zimmers und schlafen. Sie schlafen gut. Sie haben ein ruhiges Gewissen. Obwohl sie wissen, was sie tun.“
Nicht gut war auch das Schicksal des Autors. Erst Mitglied eines Freikorps, dann der KPD ging Ernst Ottwalt, der eigentlich Ernst Gottwalt Nicolas heißt und 1901 in Westpreußen in einer Pfarrerfamilie zur Welt kam, 1934 ins Exil nach Dänemark, später über die Tschechoslowakei nach Moskau. Er wurde Opfer der stalinistischen Säuberungen. 1943 kam er in einem Lager bei Archangelsk um.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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