Moabit und der Maulbeerbaum
Der Seidenbau ist untrennbar mit dem heutigen Ortsteil verbunden
Sein Saft wecke die Kampfeslust der Elefanten, heißt es in den Makkabäerbüchern der Bibel. Und im Lukasevangelium ist zu lesen, sein Wurzelwerk sei fest im Boden verankert. Man könne in seiner Krone sitzen und Ausschau halten. Bei Ovid ist der Baum „voll schneeweißer Beeren“ Zeuge einer tragischen, tödlich endenden Liebesgeschichte: „Die mordbespritzten Früchte des Baumes färben sich dunkel, und die Wurzeln, vom Blute feucht, lassen die Beeren am Aste sich röten.“
Jenseits dieser Mythen hat der Maulbeerbaum, von dem hier die Rede ist, bis heute große wirtschaftliche Bedeutung – und steht am Anfang von Moabit.
Die Blätter des Baumes, von dem es 19 Arten gibt, die allesamt nicht in Europa heimisch sind, sind das Futter der Seidenraupe. Aus ihrem Kokon wird die kostbare Seide gewonnen. Das Verfahren ist komplex und aufwendig. Die Larven von Bombyx mori müssen bei angenehmer gleichbleibender Temperatur in einem gutdurchlüfteten Raum mit den Maulbeerblättern gefüttert werden, bis sie beginnen, sich als Raupe einzuspinnen und zu verpuppen. Bevor der Schmetterling schlüpft, wird der Kokon in kochendes Wasser geworfen und der bis zu 3,5 Kilometer lange Seidenfaden abgewickelt. Zur Herstellung von Seidenstoff für ein Kleid werden 1700 Kokons benötigt. Dazu haben die Raupen 70 Kilogramm Maulbeerblätter gefressen.
Hugenotten aus Orange legen Plantagen an
Über China und Byzanz gelangte der Seidenbau nach Norditalien und Südfrankreich. Im 13. und 14. Jahrhundert entstanden dort bedeutende Manufakturen der Seidenweberei und -färberei. 1746 hielt Abraham Gotthelf Kästner, Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften, fest, dass man in Avignon, Orange, Languedoc und Provence „den Seidenbau am allerstärksten treibt“.
Aus Orange kamen die Pioniere des Seidenbaus in Moabit. Die „Orangeois“ gehörten zu den um 1685 nach Preußen und in andere deutsche Gegenden eingewanderten Hugenotten, Glaubensflüchtlingen. Moabits Chronist Bernd Hildebrandt weiß zu berichten, dass 1716 etwa 40 Orangeois mit der Bitte an den preußischen König herantraten, ihnen Land für das Anlegen von Maulbeerplantagen für den Seidenbau zu geben. Der Souverän förderte das Anpflanzen von Maulbeerbäumen und den Seidenbau nach Kräften. Seide einzuführen war sehr teuer. Erste Versuche des Seidenbaus in Preußen unternahm Kurfürstin Katharina von Brandenburg-Küstrin um 1600, leider erfolglos.
Witterung und Boden passen Bäumen nicht
Die Verhandlungen mit den Orangeois zogen sich hin. Am Ende willigte der König ein. Nunmehr noch 30 Planteure erhielten im Tiergarten zwischen der späteren Stromstraße und der heutigen Moltkebrücke ein Grundstück in Erbpacht. Es war im Durchschnitt 7800 Quadratmeter groß. Eine Verpflichtung der Orangeois lautete, mindestens 100 Bäume zu pflanzen, zu hegen und zu pflegen. Ebenso war ihnen auferlegt, „einen verhältnismäßigen Betrieb des Seidenbaus“ zu gewährleisten.
Bedauerlicherweise entwickelte sich der Seidenbau in Moabit nicht so wie gewünscht. Witterung und Bodenbeschaffenheit taugten dem Maulbeerbaum trotz aller Beteuerungen wohl doch nicht. 1734 war nur noch von weniger als der Hälfte der vertraglich vereinbarten Bäume die Rede. Auf den Grundstücken wuchsen Getreide und Gartenfrüchte oder sie lagen brach.
Die Hoffnung auf einen neuerlichen Aufschwung für den Moabiter Seidenbau gab es noch einmal bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts. Zunächst reiste 1738 aus Nîmes der Maulbeerplanteur Louis Bastidon an. Er wollte die kränkelnden Bäume zur Hälfte austauschen und ein Raupenhaus bauen. Bastidon scheiterte. Vier Jahre später zog der Gärtner Jean Joseph Robert mit seiner zwölfköpfigen Familie von Hannover nach Moabit, im Gepäck Bäume und Setzlinge, 5000 Pflanzen insgesamt. Doch 1746 starb Robert. Bernd Hildebrandt: „Die Spur der Familie verliert sich um 1750 aus den Akten.“ Das Futter für die Seidenraupe: der Maulbeerbaum.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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