Ein Bariton zwischen Reisenden: Christoph von Weitzels „Oper für Obdach“ im Hauptbahnhof

"Schreib im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht!" Bei Bariton Christoph von Weitzel als Obdachloser ist es die Sprühdose. | Foto: KEN
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Moabit. 10. März um 11 Uhr: Menschen hasten von und zu den Bahnsteigen. Durchsagen tönen aus Lautsprechern, Räder quietschen auf Gleisen. Inmitten des Lärms und geschäftigen Treibens betritt Christoph von Weitzel die improvisierte Bühne im Mittelbereich des Hauptbahnhofs – für sein ungewöhnliches Projekt.

Im Zweistundentakt, viermal an diesem Tag, singt der Bariton aus Mittelfranken eine Kurzinszenierung der Schubertschen „Winterreise“, am E-Piano begleitet von Frank Wasser. Neun Lieder aus dem wohl bekanntesten Liederzyklus der Romantik erklingen. Franz Schubert hat ihn im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem frühen Tod, komponiert.

Der Komponist wollte mit seinem Liederzyklus den existentiellen Schmerz des Menschen darstellen und hat auch den Verrat der Fürsten an Freiheit, Liberalismus und Nationalstaat thematisiert. Der Sänger Christoph von Weitzel, als Obdachloser gekleidet, interpretiert in einer „One-Man-Oper“, so von Weitzel, die Schubert-Lieder als Ausdruck von Einsamkeit, Ausgrenzung, Heimatlosigkeit, Kälte unter den Menschen, Tod und die Sehnsucht, alles durch Liebe zu überwinden. So wird die „Winterreise“ zum Projekt „Oper für Obdach“.

Es sei ein persönliches Erlebnis gewesen, das ihn dazu gebracht habe, diese Konzertreihe „den Obdachlosen Deutschlands zur Verfügung zu stellen“, sagt Christoph von Weitzel. „Oper für Obdach“ in der Inszenierung von Hugo Scholter ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des Bariton und der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Sie läuft seit November 2006.

Und wie ist es für einen Sänger, an einem solchen Ort wie dem Berliner Hauptbahnhof zu singen? „Leicht ist es nicht“, gesteht Christoph von Weitzel nach dem Konzert. „Man hat keinen geschützten Raum. Man ist allen Einflüssen ausgesetzt: viele Menschen, viel Bewegung, Kälte, Zug, Krach. Das ist natürlich sehr ungewohnt, aber auch eine sehr gute Übung bei sich und konzentriert zu bleiben.“

„Musik kann bewegen. Wir wollen Herzen bewegen“, sagt Ortrud Wohlwend, Sprecherin der Berliner Stadtmission. Daher habe die evangelische Hilfsorganisation das Angebot von Christoph von Weitzel angenommen. Gerold Vorländer, bei der Berliner Stadtmission zuständig für die Bereiche Mission und Musik, zitierte zwischen den vorgetragenen Liedern aus der Bibel. Die Bibeltexte, Darstellungen allgemeiner menschlicher Erfahrungen mit einem „Fenster der Hoffnung“, sagt Vorländer, spiegelten die Erfahrungen in den Winterreise-Liedtexten wider.

Unterstützt wurden „Oper für Obdach“ und Berliner Stadtmission von der Deutschen Bahn und der Deutsche Bahn Stiftung. Sie war für Bühne und Technik verantwortlich. KEN

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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