Kunstfestival "Ortstermin" setzt sich 2015 mit der Gentrifizierung auseinander
Moabit. Vor dem Rathaus Tiergarten feixt in zehnmillionenfacher Vergrößerung das Konterfei eines „Virus Investoribus Immobiliensis Moabitae“. Das Werk von Veronika Weidauer ist eines von 16 Arbeiten im Stadtraum zum Thema „Gentrifizierung“ im Rahmen des diesjährigen Kunstfestivals „Ortstermin“.
Die Künstlerin aus der Wilsnackerstraße definiert das Kleinstlebewesen so: Ein Parasit der Gattung Spekulanto Follitus Urbanitibus „spricht mit doppelter Zunge und sorgt mit seinem giftigen Stachel am Hinterteil für die Übertragung virulent um sich greifender Geldgier und rücksichtsloser Investitionssucht. Die Folgen sind von nicht unerheblicher gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Durchläuft eine Art umgekehrten Verpuppungsprozess: Kommt als schöner Falter daher und entpuppt sich als gefräßige Raupe.“
Vor der Galerie Nord und an weiteren Orten in der Turmstraße, vor dem Rathaus Tiergarten, im Ottopark und im Kleinen Tiergarten begegnen Passanten noch bis zum 19. Juli solchen großformatigen künstlerischen Arbeiten. Sie wollen eine Diskussion über Gentrifizierung jenseits von Schwarzweiß anregen. „Der Kunstverein Tiergarten hatte den Eindruck, dass es zurzeit das wichtigste Thema in Moabit ist“, sagt Kunstvereinsgründungsmitglied Christian Hamm, der gemeinsam mit der Vereinsvorsitzenden Claudia Beelitz die Schau kuratiert hat.
„Lost in Paradise“ (Verloren im Paradies) lautet deren Titel und stellt eine gewagte These auf: Bei der Gentrifizierung gebe es „eigentlich keine Bösen“. Das Thema sei weitaus vielfältiger und vielschichtiger. Lange habe man sie herbeigesehnt und erwartet. Seit 15 Jahren mühe sich das Quartiersmanagement Moabit-West um eine Aufwertung des Stadtteils. „Jetzt, wo tatsächlich immer mehr Menschen mit höheren Einkommen nach Moabit kommen, man auch über Wohnungsneubau nachdenkt, ist der Widerstand groß“, so Christian Hamm. Die Suche nach dem Glück könne eben gegen die Interessen anderer Beteiligter stehen, sagt Hamm.
Arm gegen noch ärmer
Mittes Kulturstadträtin Sabine Weißler (Bündnis 90/Die Grünen), die im „immer rauhen, rauhherzlichen und immer verdammt armen“ Moabit lebt, erläuterte bei der Ausstellungseröffnung ihre Sicht auf Verdrängungsprozesse im Stadtteil. Im lange von der Stadtplanung vergessenen Moabit bestehe eine Konkurrenz zwischen arm und noch ärmer. „Hierher ziehen Leute, die woanders verdrängt worden sind. Kein Reichtum in Moabit und auch keine Kaufkraft.“
Das Festival „Ortstermin“ gibt es seit einer Dekade. In den ersten fünf Jahren waren alle künstlerischen Sparten beteiligt, danach ausschließlich die bildende Kunst. Seit drei Jahren präsentieren Kunstschaffende ihre Arbeiten auch unter freiem Himmel. Kunst sei ein wichtiger Mittler zwischen Bevölkerungsteilen und Kulturen, so Kokuratorin Claudia Beelitz. Sie stifte Identität. „Ortstermin ist aus Moabit nicht mehr wegzudenken“, lautet ihr Fazit. KEN
Weitere Informationen auf www.kunstverein-tiergarten.de.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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