Warenhaus der Wohltätigkeit
Seit 30 Jahren sammelt und verteilt die Berliner Tafel Lebensmittel für Bedürftige

Sabie Werth ist jeden Tag in der Halle. Ihre Familienpflegefirma hat ihren Sitz auch auf dem Großmarkt-Gelände  | Foto: Dirk Jericho
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  • Sabie Werth ist jeden Tag in der Halle. Ihre Familienpflegefirma hat ihren Sitz auch auf dem Großmarkt-Gelände
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Vor 30 Jahren hat die Sozialunternehmerin Sabine Werth die Berliner Tafel gegründet. Tausende ehrenamtliche Helfer verteilen jährlich 8000 Tonnen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs an über eine Million Menschen, die darauf angewiesen sind.

In zwei riesigen Hallen auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße in Moabit klappern die Kisten, wuseln Dutzende Mitarbeiter mit Hubwagen umher und packen Leute Obst, Gemüse, Brot und Schokolade in Tüten. Draußen holen Teams Kisten mit Lebensmitteln von Supermärkten aus weißen Transportern und beladen sie wieder mit den vorbereiteten Paketen für soziale Einrichtungen und die 47 Ausgabestellen der Kirchenkooperation „Laib und Seele“. „Hallo Sabine“, grüßen die Helfer und Sabine Werth grüßt gutgelaunt zurück. Auf ihrer weißen Jacke prangt das Logo des Vereins Berliner Tafel, den die studierte Sozialarbeiterin 1993 gegründet hat und dessen ehrenamtliche Vorsitzende sie bis heute ist.

Ein Sozialverein, der sich bis heute ausschließlich durch Spenden und von Mitgliedsbeiträgen finanziert und Millionen Bedürftige in der Stadt mit Lebensmitteln und mehr versorgt. Keine staatlichen Gelder zu nehmen, ist bis heute das eiserne Prinzip. „Alles, was wir machen, ist freiwillig. Es ist ein Wollen und kein Müssen“, sagt Sabine Werth. Die Tafel müsse unabhängig „von staatlichem Wohlwollen“ bleiben. Außerdem würde das Geld, das der Senat der Tafel überweist, den 400 sozialen Einrichtungen wie Wohnheimen, Obdachlosenunterkünften, Frauenhäusern, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Drogenberatungsstellen und Bahnhofsmissionen, die die Tafel beliefert, möglicherweise fehlen. „Und das wäre kontraproduktiv“, sagt die 66-Jährige.

Riesiges Sozialunternehmen

Sabine Werth leitet seit 30 Jahren ein riesiges Sozialunternehmen, für das rund 2700 Ehrenamtliche und drei Dutzend Festangestellte arbeiten. Dazukommen knapp 100 Leute wie sogenannte Ein-Euro-Jobber vom Arbeitsamt und Jugendliche vom Bundesfreiwilligendienst. Die Zentrale auf dem Großmarktgelände ist ein Warenhaus der Wohltätigkeit. Waren im zweistelligen Millionenwert werden von dort aus an Bedürftige geliefert. Waren, die sonst im Müll landen würden. Dort kommen nicht nur übrig gebliebene Gurken oder Joghurtbecher mit kurzem Ablaufdatum an, die die Tafel-Transporter von über 1400 Supermärkten und neuerdings auch von Lieferdiensten einsammeln, sondern ganze Paletten mit eingeschweißten Produkten, die die Industrie gleich zur Tafel schickt.

Ein Kommen und Gehen. Transporter der Tafel vor der Halle 30a in der Beusselstraße 44 n-q. | Foto: Dirk Jericho
  • Ein Kommen und Gehen. Transporter der Tafel vor der Halle 30a in der Beusselstraße 44 n-q.
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Sabine Werth schaut sich eine Palette an, auf der Hunderte bunte Kartons mit kleinen Kaffeedöschen liegen. Irgendwelche Geschenkpackungen – das Mindesthaltbarkeitsdatum ist noch gar nicht abgelaufen, stellt Werth fest. „Wir verteilen, was wir bekommen“, sagt sie. Da gibt es auch mal Möbel oder Bohrmaschinen von Amazon zum Beispiel. „Irgendeine Einrichtung kann das immer gebrauchen“, so die Unternehmerin. Auch sonst arbeitet Sabine Werth für Menschen, die Hilfe brauchen. Ebenfalls vor 30 Jahren hat sie die Familienpflege Sabine Werth gegründet. Eine Firma mit heute 30 Mitarbeitern, die Familien in Notsituationen wie zum Bespiel Krankheit hilft, Kind und Haushalt zu versorgen.

"Ich habe ein Gründungsgen"

Die Idee der Tafeln hat sich längst bundesweit verbreitet. Sabine Werth hat 1996 den Bundesverband der Tafeln Deutschland mit damals 35 Tafeln gegründet. „Ich habe wohl ein Gründungsgen“, sagt die mit dem Bundes- und Landesverdienstkreuz ausgezeichnete Unternehmerin. Heute gibt es bundesweit 965 Tafeln, die insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen unterstützen. 1000 sollen es gar nicht werden, wenn es nach Werth geht. „Wir stehen uns jetzt schon auf den Füßen und kannibalisieren uns gegenseitig“, sagt sie.

Sabine Werth auf der Laderampe. Heute gab es auch Blumen. | Foto: Dirk Jericho
  • Sabine Werth auf der Laderampe. Heute gab es auch Blumen.
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Dass trotz der deutschlandweit Zigtausenden Ehrenamtlichen in den Sammel- und Verteilinitiativen immer noch Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr in den Supermarkt-Müllcontainern landen, kann Sabine Werth nicht verstehen. „Das dürfte nicht sein, wir holen bei allen Märkten jeden Tag ab. Warum werfen die trotzdem noch was weg?, fragt sich die Tafel-Chefin. Sie fordert ein Gesetz wie in Frankreich, das Verkaufsstellen verpflichtet, Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden, an soziale Einrichtungen zu liefern. Auch in Berlin und wegen der vielen Krisen wie Corona, Inflation und Krieg werden es immer mehr Menschen, die auf die Tafel angewiesen sind. Und gleichzeitig landen immer mehr Lebensmittel und Waren im Müll. „Wir leben in einem kranken System, ganz eindeutig“, so Sabine Werth.


Die Berliner Tafel

• unterstützt derzeit 400 soziale Einrichtungen (Wohnheime, Obdachlosenunterkünfte, Frauenhäuser, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Drogenberatungsstellen, Bahnhofsmissionen)

• 1,1 Millionen Menschen nutzen die Lebensmittelspenden

• 47 reguläre und acht vorübergehende Ausgabestellen von „Laib und Seele“, einer 2005 gestarteten Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des rbb, gibt es

• die Berliner Tafel verteilt rund 660 Tonnen Lebensmittel pro Monat; das sind knapp 8000 Tonnen jährlich

• für die Berliner Tafel engagieren sich rund 2700 Menschen ehrenamtlich

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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