Wissen an nachfolgende Generationen vermitteln
15 Jahre Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit – ein Rück- und Ausblick
Im August feierte das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit 15-jähriges Bestehen. In Zukunft soll der Gedenk- und Ausstellungort in der Britzer Straße 5 noch interessanter werden. Leiterin Dr. Christine Glauning und ihr Team planen eine neue Veranstaltungsreihe für 2022 und haben außerdem Ideen zur Weiterentwicklung des Areals.
„Wir brauchen mehr Platz für Exponate und Ausstellungen und für Büros. Außerdem wollen wir einen Aufenthaltsraum für die Besucherinnen und Besucher einrichten, wo man sich hinsetzen und auch etwas trinken kann“, sagt sie. „Perspektivisch könnte ich mir auch ein Café für die Nachbarschaft vorstellen – mit einem sozialen Träger als Betreiber.“ Das sei eine gute Möglichkeit, das Gelände noch weiter für die Anwohner zu öffnen.
Das Dokumentationszentrum ist die einzige Institution am historischen Ort eines fast vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlagers inmitten eines Wohnbezirks. Anwohner können direkt auf das Gelände blicken. Errichtet wurde das Lager vom „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“. Ab Ende 1943 entstand es unter Leitung Albert Speers auf einer 3,3 Hektar großen Fläche. Es umfasste 13 Unterkunftsbaracken und eine im Zentrum gelegene Wirtschaftsbaracke. Vollständig belegt war das für 2160 Zwangsarbeiter geplante Areal nie. In zwei Baracken wurden in den letzten Kriegsmonaten 1945 weibliche KZ-Häftlinge untergebracht, die bei der Batteriefabrik Pertrix arbeiten mussten. Nach dem Ende der Naziherrschaft waren einige Baracken Papierlager für die Sowjetische Militäradministration. In die sechs Baracken, die heute zum Dokumentationszentrum gehören, zog kurz nach dem Krieg das Impfstoff-Institut der DDR ein. Dafür wurden unter anderem Tierställe für Tests eingerichtet. Erst kurz nach 1989 zog es wieder aus und wurde vom Robert-Koch-Institut abgewickelt. Ab 1995 stand dieser Teil des historischen Lagergeländes mehr als zehn Jahre leer und wucherte zu.
2004 beschloss der Senat, dort ein Dokumentationszentrum zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit einzurichten. 2006 folgten die Eröffnung und die offizielle Übergabe an die Stiftung Topographie des Terrors. Möglich gemacht wurde das erst durch starkes bürgerschaftliches Engagement. In einer der Baracken befinden sich heute Büros, Konferenzräume und die Verwaltung. Eine Baracke wird für Sonderausstellungen, einen Veranstaltungsraum, Archiv und eine Bibliothek genutzt. Zwei Dauerstellungen füllen zwei weitere Baracken aus. In einer sind Lagerräume untergebracht. Und dann gibt es noch die Baracke 13, die an der Ecke Köllnische und Rudower Straße liegt und nur bei Führungen geöffnet wird. In den anderen noch vorhandenen Baracken gibt es eine Physiotherapie mit Sauna, einen Kegelsportverein, eine Kita und eine Autowerkstatt.
Spätestens 2023 sollen die noch unsanierten Baracken des Dokumentationszentrums modernisiert sein, hofft Christine Glauning. „Die Alltäglichkeit und Allgegenwart von Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus aufzuzeigen, dieses lange vergessene Gesellschaftsverbrechen immer wieder in den Blick zu rücken, war und bleibt Aufgabe für die Zukunft“, betont sie. Die Besucherzahlen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie (2019 waren es 18 500, ein Höchstwert), müssten sie sich aber erst wieder erarbeiten. Eine weitere Herausforderung ist die Wissensvermittlung an die nächste Generation. „Jugendliche gehen in der Regel nicht allein in die Ausstellung. Es gibt geschulte Guides und Angebote, die speziell auf junge Besuchergruppen zugeschnitten sind.“ Für Schülergruppen, zum Beispiel vom nahegelegen Archenhold-Gymnasium, wurden Zeitzeugengespräche organisiert. Doch Zeitzeugen gibt es kaum noch. Vor wenigen Monaten starb Ugo Brilli im Alter von 99 Jahren. Der frühere italienische Soldat, der zur Zwangsarbeit in Schöneweide gezwungen wurde, war mehrfach zu Gast und erzählte von seinen Erlebnissen. „Angehörige der zweiten und dritten Generation rücken schon jetzt immer mehr in den Fokus“, so Glauning.
Die Aufklärungsarbeit, die sie und ihre Mitarbeiter leisten, gefällt nicht jedem. Eine Security überwacht das Gelände außerhalb der Öffnungszeiten, denn der rechten Szene ist der Standort ein Dorn im Auge. Immer wieder kommt es zu verfassungsfeindlichen Schmierereien auf Plakaten am Zaun. Parolen wurden von außen hineingerufen. „Es hat in den Anfangsjahren auch mal jemand einen Molotowcocktail auf eine Baracke geworfen. Ein aufmerksamer Anwohner hat aber zum Glück schnell die Feuerwehr alarmiert“, berichtet Christine Glauning. Der Schaden sei deshalb nur gering gewesen.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.