Erinnerung an internierte italienische Soldaten: Zeitzeugen gesucht
Niederschöneweide. Während des NS-Regimes gab es Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge. Die Schicksale fast aller Opfergruppen wurden seit 1945 aufgearbeitet. Das Schicksal der italienischen Militärinternierten dagegen liegt noch im Dunkeln.
Bis 1943 kämpfte Italien an der Seite Deutschlands und der anderen Achsenmächte gegen die Alliierten. Im September 1943 unterzeichnete Italien den Waffenstillstand von Cassibile und trat aus dem Krieg aus. Rund einen Monat später trat das Land auf die Seite der Alliierten über und erklärte Deutschland den Krieg – mit furchtbaren Folgen für die bereits von deutschen Truppen festgesetzten italienischen Soldaten. Nach einem Führerbefehl wurden sie nicht als Kriegsgefangene, sondern als Militärinternierte geführt. „Sie saßen zwischen allen Stühlen. Viele Deutsche behandelten sie als Verräter. Sie hatten keine Rechte nach der Genfer Konvention und das Internationale Rote Kreuz konnte nichts für sie tun“, erläutert Daniela Geppert vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. Auch dort an der Britzer Straße waren Italiener aus dieser Opfergruppe interniert. Sie wurden ebenso wie viele Zwangsarbeiter in den zahlreichen Rüstungsbetrieben in Schöneweide eingesetzt.
In Sammellagern in Italien wurden die ehemaligen Soldaten vor die Entscheidung gestellt, in der Wehrmacht oder der Waffen-SS zu kämpfen oder in die Internierung zu gehen. Nur wenige der 650 000 italienischen Soldaten in deutscher Hand entschieden sich für den Kampf auf deutscher Seite. „Da die Propaganda die internierten Italiener als Verräter brandmarkte, wurden sie bei der Zwangsarbeit in Berliner Betrieben oft dementsprechend schlecht behandelt“, sagt Daniela Geppert.
Erst im Sommer 1944 besserte sich ihr Schicksal. Vermutlich als Folge der aussichtslosen Kriegslage wurden sie in den Zivilstatus versetzt. Fortan durften sie die Lager in ihrer Freizeit verlassen, es gab Kontakte zur Berliner Bevölkerung und sogar Liebesbeziehungen zwischen Italienern und deutschen Frauen.
„Wir suchen Zeitzeugen, die von solchen persönlichen Beziehungen berichten können. Vielleicht gibt es noch ältere Leser, die in einer der Rüstungsfabriken mit den Italienern zusammengearbeitet haben. Gefragt sind auch Dokumente, die an militärinternierte oder später zivile Italiener erinnern“, sagt Daniela Geppert.
Die deutsch-italienische Historikerkommission hat bereits 2012 empfohlen, eine entsprechende Dauerausstellung einzurichten und dafür das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit vorgesehen. Die Ausstellung soll bis zum Herbst 2016 fertig sein. RD
Autor:Ralf Drescher aus Lichtenberg |
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