Haus der Familie
Nähkurs für Frauen mit und ohne Fluchterfahrung
Ein Duft von frischgebrühtem Kaffee empfängt einen, wenn sich die Frauen aus allen Kulturen am Montagnachmittag zum Nähkurs treffen. Ausgelassene Stimmung und munteres Geplauder in allen erdenklichen Sprachen erfüllen den Raum. Da wirkt das Hintergrundgeräusch der monoton ratternden Nähmaschinen fast schon beruhigend.
Annett, Friederike und Elodie sind heute neu dazugekommen. Ihnen erkläre ich das obligatorische Einstiegsprojekt- ein schlichtes Stoffkörbchen, einfacher Schnitt, schnell genäht, mit ausschließlich geraden Nähten. Konzentriert hören sie meinen Anweisungen zu, stürzen sich in die Stoffberge, die dank zahlreicher Spenden hier im Haus der Familie lagern, um sich den passenden Stoff auszusuchen (ein ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle an das Kurzwarengeschäft Böhme am S- Bahnhof Pankow für die wunderschönen Stoffspenden, Geldspenden und das herzliche Engagement!). Schnittmuster anlegen, ausschneiden, mit Stecknadeln zusammen stecken – und schon kann endlich die Nähmaschine gestartet werden.
Das stupide Stoffkörbchen ist nichts mehr für Lamiaa aus Syrien, die schon etwas Näherfahrung hat. „Ich brauche eine Hose für meinen Sohn“ sagt sie. „Oh“, sage ich, leicht verlegen, denn ich fühle mich unvorbereitet, „da habe ich heute gar keinen Schnitt dabei“. „Schnitt? Was ist Schnitt?“ fragt Lamiaa, nimmt den Stoff, zeichnet aus freier Hand die Stoffstücke auf und im Nu ist die Hose für Ihren Sohn fertig. An Stelle meiner Verlegenheit tritt tiefe Bewunderung für so viel Geschick. „Wow!“ staunen auch die anderen (deutschen, amerikanischen und französischen) Kurseilnehmerinnen.
Zadye bleibt unbeeindruckt. Bei Ihrer Stoffsuche lässt sie sich nicht stören. Sie findet einen dünnen weich fallenden Stoff, den sie an sich herunter hält um zu prüfen, ob das Stück auch für ein Kleid reicht. Schnell ergattert sie eine Nähmaschine und legt los.
Wafa kommt heute etwas später. Strahlend erzählt sie uns den Grund ihrer Verspätung: Sie hatte gerade Wohnungsübergabe ihrer ersten Wohnung in Berlin. Zum Nähen bleibt keine Zeit, aber das macht nichts. Sie hat Süßigkeiten für alle mitgebracht, um dieses Ereignis mit uns zu feiern. Sie zeigt uns Fotos ihrer Wohnung und bei Kaffee und Schokolade freuen wir uns alle mit ihr. Montaha kommt aus dem Übersetzen nicht mehr raus, auch für sie bleibt keine Zeit mehr, ihr angefangenes Projekt fertig zu schneidern. Aber Montaha, die gute Seele des Kurses, kommt sowieso vor allem um deutsch zu sprechen. Die Schneiderin aus Syrien hat stets gute Tipps und hilft den anderen Kursteilnehmerinnen wo immer es geht.
Heute zum Kursbeginn hat sie mich zur Seite genommen und mir ein selbstgemachtes Geschenk überreicht: Weil ich während des Kurses mein Handy ständig verlege und es immer suche, hat sie extra für mich ein Täschchen genäht – genau in der Größe meines Handys. Gerührt hänge ich es um und seitdem ist es mein ständiger Begleiter im Nähkurs.
Montaha haben wir auch die vielen schönen bunten Kissen im Haus der Familie zu verdanken, an denen sich z. B. die Krabbelgruppe, aber auch andere Gruppen täglich erfreuen. Tagelang zerbrach ich mir den Kopf, wie man an preisgünstige Kissen kommen kann, um im Haus der Familie etwas Gemütlichkeit zu schaffen. Montaha war nach der ersten Nähstunde – damals noch im Gemeindehaus – völlig entsetzt, dass wir all unsere Faden- und Stoffreste einfach im Müll entsorgen. „Da kann man doch noch Kissen draus machen!“ rief sie- und die Idee war geboren. Schnell nähte ich mit einigen anderen Kursteilnehmerinnen Kissenhüllen, die von nun an mit allen weichen Nähabfällen ausgestopft werden. Ist ein Kissen voll, wird es schnell zugenäht und in eine selbstgenähte Kissenhülle gesteckt. So langsam füllt sich der Schrank mit bunten Sitzkissen.
Kurz vor drei, der Kurs neigt sich dem Ende zu. „Wir müssen langsam aufräumen“ sage ich und stelle schon mal laut klirrend alle Tassen zusammen. Das lässt Zadye aufschrecken. Ich habe sie während des Kurses kaum wahrgenommen, sie war so vertieft in ihrer Näharbeit, wie in einer anderen Welt. „Oh nein, ich bin noch nicht fertig!“ ruft sie und zeigt uns ihr fast fertiges Kleid. Es fehlen nur noch die Säume. „Wie hast Du das denn so schnell hinbekommen?“ frage ich völlig erstaunt. Zadye zeigt mit dem Finger auf Ihren Kopf und macht mit Ihrer Hand die Bewegung einer Schere. Aha. Nur nachdenken und ausschneiden, so einfach machen das die Afghaninnen. Wir müssen alle lachen und von nun an ist „nachdenken und ausschneiden“ zusammen mit Zadyes Handbewegungen unser geflügeltes Wort.
Jetzt geht es ans Aufräumen. Es werden Nähmaschinen in den Schrank und Tassen in die Küche geräumt, die angefangenen Nähprojekte kommen in die Projekttasche, die fertigen werden nochmal von allen bewundert und eingepackt. Die drei Anfängerinnen sind stolz, ihre Stoffkörbchen gleich heute mitnehmen zu können. Nächste Woche geht es weiter, vielleicht mit einer Einkaufstasche oder einer Babyhose. Wir freuen uns auf den nächsten Kurs, auf das Rattern der Nähmaschinen, die schönen Unterhaltungen und natürlich auf den Kaffee.
Wir bedanken uns beim Evangelischen Kirchenkreis Berlin Nord-Ost, der mit einer Förderung aus dem Flüchtlingsfonds die Fortführung des Angebots in diesem Jahr ermöglicht.
Der Nähkurs findet im Haus der Familie (Marthastraße 12, 13156 Berlin) immer montags von 13.00 bis 15.00 Uhr statt. Angeleitet wird er von Verena Hugo. Geflüchtete Frauen sind herzlich willkommen, mitzunähen. Ob mit oder ohne Kinder und mit oder ohne Näherfahrung. Informationen: 0176/49351240.
Autor:Nina Dohle aus Niederschönhausen |
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