„Unser Ziel ist es, überflüssig zu werden!“
Lern-fair kämpft gegen Bildungsungerechtigkeit
Dass parallel zum deutschen Bildungssystem eine milliardenschwere Nachhilfe-Industrie boomt, ist nichts Neues. Dieses strukturelle Problem wurde durch die Pandemie weiter verschärft. Für einige engagierte Studenten war das ein Grund zu handeln. Sie gründeten 2020 den Verein Corona School, heute Lern-Fair.
Vereinspressesprecherin Kaiya Reisch war von der ersten Stunde an mit dabei. „Die Initiatoren haben sich damals in ihrer Bonner Studenten-WG ernsthaft Gedanken über die Situation der Schüler gemacht“, sagt sie. „Und quasi in einer Nacht wurde die Idee geboren, Corona School zu gründen.“ Das ursprüngliche Ziel: Vor allem für Schüler, die aufgrund der Corona-Pandemie Benachteiligungen erfahren haben, sollte eine kostenlose Nachhilfe gewährleistet werden. Als klar wurde, dass sich die strukturelle Bildungsungerechtigkeit auch nach der Pandemie fortsetzte, wurde der Name in Lern-Fair geändert. Heute betreibt der Verein die erste und größte komplett digitale und gemeinnützige Plattform, die bildungsbenachteiligte Schüler mit kostenfreien Bildungsangeboten in Form von Eins-zu-eins-Lernunterstützung, Gruppenkursen zu diversen Themen und Unterricht in den Grundlagenfächern unterstützt.
Was klein begann, sei über das Internet und auch durch Mundpropaganda schnell zu einem deutschlandweiten Angebot geworden, so Kaiya Reisch. „Der Verein hat heute rund 80 hauptsächlich ehrenamtlich tätige Mitglieder, darunter Pädagogen, Psychologen und Kulturwissenschaftler. Darüber hinaus engagieren sich seit der Gründung über 16.000 Helfer, überwiegend Studenten, für mehr als 25.000 Schüler in der digitalen Nachhilfe und anderen digitalen Angeboten auf der Plattform.“
500 Schüler auf Warteliste
Nach der Prüfung des Bedarfs und der Registrierung der Schüler werden Lernpaare gebildet. Nachgefragt werden vor allem die klassischen Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch – und das nicht nur von Schülern aus Grund- und Sekundarschulen, sondern vermehrt auch aus Gymnasien. Der zeitliche Umfang reiche dabei von zweiwöchiger Akuthilfe zum Beispiel vor dem Abitur bis hin zu Langzeitnachhilfe bis zu drei Jahren. „Die stetige Nachfrage nach dieser digitalen Unterstützung hat allerdings inzwischen dazu geführt, dass es eine Warteliste von rund 500 Schülern gibt, die auch nicht kleiner wird“, erklärt Kaiya Reisch. „Das ist ein weiteres Zeichen für die Missstände im deutschen Bildungssystem und für uns Anlass, verstärkt politisch aktiv zu werden, um auf das Problem aufmerksam zu machen.“ Ihr Fazit: „Letztlich muss es unser Ziel sein, überflüssig zu werden.“
Dass dies noch ein langer Weg ist, zeigen die regelmäßigen vereinseigenen Evaluationen unter den Schülern. Die letzte vom Januar ergab, dass sich 58 Prozent der Befragten eine kostenpflichtige Nachhilfe nicht leisten können. Immerhin konnte ein Großteil der Schüler mit Lern-Fair die Noten verbessern und 92 Prozent waren mit ihrem Lernpaar sehr zufrieden. Positives Feedback, so Kaiya Reisch, gebe es auch seitens der Eltern und der Schulen, die Lern-Fair nicht als Konkurrenz ansehen. Auch gesellschaftlich wird die Vereinsarbeit zunehmend gewürdigt, zum Beispiel mit Ehrungen wie dem Deutschen Engagementpreis der Studienstiftung und unterschiedlichen Förderungen vor allem seitens der Andreas Gerl Stiftung, die damit wesentlich zur Professionalisierung der Plattform beiträgt.
Neben Spenden ist Lern-Fair momentan vor allem auf tatkräftige Unterstützung bei der digitalen Nachhilfe angewiesen. Das Motto dafür ist einfach und passt zur dringend benötigten Hilfe: „Verschenke Zeit und Bildung!“ Interessierte finden dazu alle Informationen und Kontaktdaten im Internet unter www.lern-fair.de.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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