Ehrenamtlich gegen das Vergessen
Berliner Stolperstein-Initiativen erinnern an die Verfolgten des Nazi-Regimes
Der Berliner Stadtplan auf der Internetseite des Projekts ist übersät mit Tausenden kleinen ockerfarbenen Quadraten. Sie bezeichnen jene Orte, an denen Stolpersteine an die Schicksale von Verfolgten des Nationalsozialismus erinnern.
Hinter jeder dieser Geschichten stehen weitere – nämlich die derjenigen, die neugierig wurden, die nachgeforscht, Informationen gesammelt, Angehörige gesucht und schließlich die Verlegung der Steine beantragt haben. Eine dieser Geschichten ist die von Cindy Wewerka. Sie beginnt mit einem Geschenk: Freunde der 34-jährigen Biesdorferin wussten um ihr Interesse für jüdische Kultur und die deutsche Geschichte und schenkten ihr einen Stolperstein. Der kostet 120 Euro, die Verlegung muss bei der Stolpersteingruppe vor Ort beantragt werden und wird überwiegend vom Gründer des Projekts, dem Künstler Gunter Demnig, durchgeführt.
„Vorausgegangen ist eine recht langwierige Recherche“, erinnert sich Cindy Wewerka. Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf nannte ihr 15 infrage kommende Persönlichkeiten in ihrer näheren Umgebung. Besonders das Ehepaar Marie-Luise und Carl Hotze, das in der KPD aktiv war und Juden und politisch Verfolgte versteckte, imponierte Cindy Wewerka: „Beide haben damals Menschen geholfen und sich dadurch selbst in Lebensgefahr gebracht.“
Stolpersteine in Behörden
Bis zur endgültigen Verlegung der kleinen messingbeschichteten Betonquader für die beiden sollte es dann allerdings noch über ein Jahr dauern. „Bis meine Anfragen an Ämter, Archive und Gedenkstätten beantwortet wurden, ist einige Zeit verstrichen“, sagt Cindy Wewerka und ergänzt: „Aber die spannende Arbeit hat sich schließlich gelohnt, ich habe fast durchweg positives Feedback bekommen.“
Dass lange Wartezeiten kein Einzelfall, sondern eher die Regel sind, bestätigt Dr. Wolfgang Ellerbrock. Der 65-jährige pensionierte Berufsschullehrer ist seit 2017 Sprecher der lokalen Stolperstein-Initiativgruppe Prenzlauer Berg: „Mein Einstieg in das Thema erfolgte 2010 mit der Recherche über Opfer des Naziregimes in der Kirchengemeinde Schlachtensee, bei der ich auf die Schicksale von Verfolgten stieß und an der Verlegung von zwei Steinen beteiligt war.“ Das Interesse des Historikers war geweckt. Heute trägt er die Idee der Stolpersteine in die Schulen seines Bezirks, organisiert Informationstreffen, leitet thematische Kiezspaziergänge, kümmert sich um die Pflege der Steine. Nicht zu vergessen sei, so Ellerbrock, eine gute Kommunikation mit den Bewohnern und Eigentümern der Häuser, vor deren Tür die Steine verlegt werden. Und das sind nicht wenige: Allein in Prenzlauer Berg gibt es mittlerweile rund 500 Stolpersteine, 100 wurden in den vergangenen zwei Jahren verlegt und etwa 75 weitere sind derzeit in Planung.
75.000 Stolpersteine erinnern an Opfer
Längst ist die Idee auch zu einem europaweiten Projekt geworden, das mit über 75 000 Steinen heute das größte dezentrale Mahnmal der Welt darstellt. Und da nur der Künstler und seine Assistenten die Steine verlegen, ist für neue Initiatoren zunächst neben der Neugier auf die Geschichte des eigenen Wohnumfelds und die persönlichen Schicksale der Verfolgten vor allem Geduld gefragt.
Gleichwohl registriert Wolfgang Ellerbrock bei seiner Ehrenamtstätigkeit ein steigendes Interesse am Projekt Stolpersteine: „Derzeit sind wir rund 20 Aktive in unserer Gruppe im Alter von 18 bis 80 Jahre. Und die Zahl der Anfragen und Initiativen, die wir unterstützen, reißt nicht ab.“
Kontakt: Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin, Stauffenbergstraße 13-14, Telefon 263 98 90 14. Weitere Infos zu lokalen Stolperstein-Initiativen in den Bezirken gibt es auf www.stolpersteine-berlin.de.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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