Blick hinter die Fassaden: Nadja und Freya Klier erzählen die Geschichte der Oderberger Straße
Prenzlauer Berg. „Die Oderberger Straße“ heißt ein Buch von Nadja und Freya Klier. Für die Präsentation dieser Neuerscheinung fanden die beiden Autorinnen einen Ort, der ihnen besonders am Herzen liegt: das Stadtbad Oderberger Straße.
Freya Klier wohnte ganz in der Nähe, und ihre Tochter Nadja lernte dort schwimmen. Später, als sich schon längst kein Wasser mehr im Schwimmbecken befand, nutzte die Fotografin Nadja Klier das Gebäude immer wieder als Kulisse für Fotoshootings.
In den vergangenen Jahren ist das Stadtbad von der Familie Jaeschke saniert und umgebaut worden. Man kann dort auch wieder schwimmen. Aber zu Veranstaltungen lässt sich ein robuster Boden über die Wasserfläche zaubern. Auf diesem saßen zur Buchpräsentation etwa 300 Menschen, die der Oderberger Straße und den beiden Autorinnen auf die eine oder andere Weise verbunden sind.
Die Moderation übernahm Knut Elstermann. Er schrieb selbst ein Buch über eine besondere Prenzlauer Berger Straße, die Winsstraße. Und dass nun die Kliers ein Buch über die Oderberger schrieben, ist ein Stück weit auch Elstermann zu verdanken.
Mutter und Tochter drehten nämlich 2015 einen Dokumentarfilm über diese Straße. Elstermann war von diesem so begeistert, dass er vorschlug, daraus auch ein Buch machen. Er brachte die Kliers mit dem be.bra Verlag zusammen – und das Buchprojekt war geboren.
Dass sich die Kliers ausgerechnet mit der Oderberger so intensiv beschäftigten, hat seinen Grund. Beide lebten nämlich zehn Jahre lang in einem Hinterhaus dieser Straße. Die Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin Freya Klier zog 1978 aus Senftenberg mit ihrer damals fünfjährigen Tochter hierher. Die Straße war ein Biotop für Künstler und Unangepasste. Die Kunsthochschule Weißensee und Ost-Berliner Kultureinrichtungen hatten in den Altbauten ein „Wohnungskontingent“ für Studenten und Künstler. Tochter Nadja besuchte den Kindergarten in der Eberswalder Straße, ging in diesem Kiez später auch zur Schule.
Anfang der 80er-Jahre war Freya Klier Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung. Die Regisseurin wurde 1988 gemeinsam mit ihrem Partner Stephan Krawczyk verhaftet und wenig später unfreiwillig ausgebürgert.
Die zehn Jahre im Kiez prägten aber beide so sehr, dass sie sich vor einigen Jahren wieder auf Spurensuche begaben. Sie produzierten einen beeindruckenden Dokumentarfilm, untermalt von der Musik Stephan Krawczyks. Mit dem Buch entstand nun ein Porträt der Straße. Die Leser erfahren mehr über die Entstehung der Straße 1873, über den Bau der Feuerwache 1883 und des Stadtbades Oderberger Straße im Jahre 1902. Die Zeit der zwei Weltkriege, Mauerbau und eine missglückte Tunnelflucht finden ebenso ihren Platz wie die Geschichte der Bürgerinitiative, die 1985 den Hirschhof aufbaute.
In die Zeit der 70er- und 80er-Jahre zurückversetzt fühlt sich der Leser vor allem, wenn es im Buch ganz privat wird. Das beginnt mit dem Kapitel, in dem Nadja erzählt, wie sie mit ihrer Mutter in die Wohnung an der Oderberger Straße einzieht. Auch die Geschichte über damalige Nachbarn lassen erahnen, dass es hier ein ganz besonderes Lebensgefühl gab. Wenn Freya Klier in einer Geschichte aus den späten 80er-Jahren erzählt, wie sie einen Stasi-Mann im Treppenhaus und dann auf dem Boden entdeckte, wird es richtig spannend. Wie sie und Stephan Krawczyk später herausfanden, wurde ihre komplette Wohnung abgehört.
Freya Klier gesteht, dass sie nach der Wende kein Bedürfnis mehr hatte, in diese Straße zurückzuziehen. Und heute schon gar nicht. „Es ist nicht mehr so wie früher hier“, sagt sie. Alles ist zu chic saniert. Und viele der alten Bewohner sind verschwunden. Das sei nicht mehr „ihre“ Oderberger Straße. Auch Tochter Nadja gesteht: „Es fühlt sich hier nicht mehr so wie früher an. Aber ich habe noch immer viele Kindheitserinnerungen, die ich mit dieser Straße verbinde.“ Zwar wohnt Nadja Klier nicht mehr in diesem Kiez, aber inzwischen wieder in Prenzlauer Berg. BW
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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