Stadtspaziergang
Die 220. Tour geht durch den Ernst-Thälmann-Park
Zu meiner 220. monatlichen Tour lade ich Sie zum Ernst-Thälmann-Park ein. Das ist jenes Stadtquartier, erbaut auf dem Gelände des abgerissenen Städtischen Gaswerks Nr. 4, das geografisch genau in der Mitte von Prenzlauer Berg liegt, seit Jahren unter Denkmalsschutz steht und 1986 nach dem Hamburger Hafenarbeiter Ernst Thälmann, der 1925 zum Vorsitzenden der KPD aufstieg, benannt wurde (geboren 1886, 1944 ermordet in Buchenwald).
Sein mächtig gewaltiges Denkmal steht seitdem zur Greifswalder Straße hin am Ostrand des Parks. Das wurde von Anfang an heftig diskutiert, zuerst vorwiegend aus künstlerischen, später wohl eher aus politischen Gründen. Doch der Park hat noch manch andere spannende Ecken. Am Nordwestende, nahe dem historischen Ringbahnhof Prenzlauer Allee, lud ebenfalls ab 1986 das Carl-Zeiss-Großplanetarium zum Blick in die Weiten des Kosmos ein. Es galt als größtes und modernstes Europas. Heute lässt sich der originale Linsenprojektor im Foyer bestaunen. Der war drei Jahrzehnte in Betrieb, ist nun museal, abgelöst von einer elektronischen Hightechmaschine, die viel mehr kann als das alte, tiefblau lackierte optomechanische Wunderwerk.
1919 war bei Carl Zeiss die „Planetenmaschine“ erfunden worden. Das Haus ergänzte seinen Ruf als „größtes und modernstes“ Planetarium noch mit „Wissenschaftstheater“. Zur Stiftung Planetarium Berlin gehören auch das am Insulaner, die Wilhelm-Foerster-Sternwarte und die Treptower Archenhold-Sternwarte mit dem fast 130 Jahre alten größten Linsenfernrohr der Welt.
Der Thälmann-Park liegt in sehr gemischter Stadtgegend. Jenseits der Prenzlauer wie auch an der Danziger stehen Mietskasernen des einst übervölkerten alten Arbeiterbezirks, die saniert zu den schicksten, gefragtesten Innenstadt-Adressen zählen. Nebenan, wo Verwaltungen des 410 000-Einwohner-Bezirks Pankow sitzen, hatte die Stadt Berlin in den 1880er-Jahren den riesigen Komplex von Klinkerbauten vom Hochbaustadtrat Hermann Blankenstein im Stile später Schinkelschule zur „Daseinsfürsorge“ errichten lassen. Das zugehörige Asyl war für jeweils 4000 „Nachtobdachlose“ berechnet, jene Ausgestoßenen, die selbst von ärmsten Mietskasernenbewohnern verachtet wurden. Aber schon damals wusste man, dass man auch mit Armut Leute belustigen kann. So galt 1884 der Gassenhauer „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ als beliebtestes Tanzlied der Saison. Der erste Vers ging so: „Mutta, der Mann mit dem Koks ist da /Junge, halt’s Maul, ich weiß es ja. / Hast du denn Jeld? Ick hab keen Jeld / Wer hat denn den Mann mit dem Koks bestellt?“ Der halbe gelieferte Sack kostete damals laut übernächstem Vers bloß „’ne halbe Mark“, aber der Koksmann verborgte nichts.
Die Gasanstalt Nr. 4 pustete da schon zehn Jahre ihren Staub in die noch unbewohnte Ringbahngegend, als nebenan auf billigem Grundstück das Asyl gebaut worden ist. Das 108 Jahre lang laufende Werk blieb so eine Dreckschleuder auch in längst dichtbebauter Wohngegend. Jahrzehntelang wurde jeden Tag ein Güterzug mit 900 Tonnen Steinkohle aus Oberschlesien erwartet und so wurden in den Kokereiöfen bei einer Reaktionstemperatur von bis zu 1300 Grad Celsius täglich über 650 Tonnen dringend in der Industrie gebrauchter Qualitätskoks sowie das Stadtgas hergestellt. 1981 ist das Gaswerk wegen der Streiks in Polen geschlossen worden. Bald begann der Abriss.
Es mutet wie ein Treppenwitz an, dass ein Jahr darauf die Westberliner Neue-Deutsche-Welle-Band „Lilli Berlin“ auf ihrer damaligen Single „Ostberlin-Wahnsinn“ als B-Seite den “Mann mit dem Koks“ coverte. Die Zahl der nächtlich 4000 Obdachlosen hatte sich übrigens noch über die Krisen bis in die 1930er-Jahre gehalten. Aber sie wechselte auch ihre Bedeutung. So galten in Berlins städtischem Wohnungsbau der 20er-Jahre etwa 4000 Bewohner als Richtzahl für sozial geplante Stadtquartiere. Die nahe Wohnstadt „Carl Legien“ der Gehag gleich hinter dem S-Bahn-Ring, heute Weltkulturerbe, hatte Architekt Bruno Taut mit viel Grün zwischen den Häusern als die erste der Innenstadt so geplant und gebaut. Tauts Grundrisse für GEHAG-Etagenwohnungen bestimmten den Wohnungsbau des 20. Jahrhunderts fast überall in der Welt: 30 bis 85 Quadratmeter, ein bis vier helle Zimmer, jede Wohnung mit Bad und Toilette, die Küchen klein und funktional, möglichst viele Balkons.
Hans Scharouns frühe Nachkriegsplanung „Wohnzelle Friedrichshain“ hielt sich ebenfalls daran: 4000 Bewohner. Und so ist es kein Wunder, dass sich auch Architekt Helmut Stingl (1928-2000) für das Quartier Ernst-Thälmann-Park diese Zahlen vornahm. Wie Bruno Taut bei “Carl Legien“, sechsgeschossig „Stein auf Stein“ gemauert, ist Stingl in Zeiten des industriellen Bauens für zu ausgiebige Grünflächen und „unökonomische und willkürliche“ Anordnung der Wohnhochhäuser und Zehn-Geschoss-Wohnscheiben kritisiert worden. Aber wie Taut konnte auch er nachweisen, dass im Quartier Thälmannpark trotz individualisierter Gestaltung und Freiflächen die Bewohnerdichte über jene der Mietskasernenviertel hinausging. Stingls neuer Hochhaus-Bautyp WHH-GT 84/85 galt als Revolution, da er die kubische Form aufgab, auf Fächergrundriss acht Wohnungen pro Etage anordnete, dabei das Elementesortiment knapp auf die Hälfte reduziert war. Bald stand auch eines dieses Typs in Nahsicht Ecke Kniprodestraße und dann auch anderswo.
Stingl ist ein bekannter Unbekannter unter Berlins Architekten und Stadtplanern. Schon in den frühen 1970ern war er für erste 18-Geschosser in Tafelbauweisen an der Holzmarktstraße zuständig, Städteplaner für Marzahn, verantwortete rund 90 000 Wohnungen in Berlin, setzte auch den Hyparschalen-Bau des von Ingenieur Ulrich Müther konzipierten "Ahornblatts" am Fischerkiez durch.
Im Sommer 1984 sind die im Projekt Thälmannpark eingeordneten drei denkmalsgeschützten Gasspeicher gesprengt worden, die Modelle für öffentliche kulturelle Nutzung von Weißenseer Architekturstudenten mussten zurückgezogen werden. War es das Opfer für die damals ökonomisch lebenswichtige Präsentation „Planetarium“ des DDR-Außenhandels? So kam es, dass 1986 neben dem alten Verwaltungsbau, umgebaut zum Kulturhaus, auch der einzige Kulturneubau im Thälmannpark eröffnet wurde: die Wabe, ein Oktogon mit 600 Plätzen in Form eines Amphitheaters, viel genutzt und mit einer sehr ungewöhnlichen Atmosphäre. Ein notwendiger Ersatzbau für die verlorenen Gasometer. Es wurde zu Prenzlauer Bergs größten Kulturveranstaltungsorten und so auch zum größten des Bezirks Pankow.
Im nahen Stadtteil Weißensee gibt es den Hamburger Platz. Der hat nichts mit dem Hamburger Hafenarbeiter Thälmann zu tun, sondern mit dem Hamburger Segelschiffsreeder und Kaufmann Gustav Adolf Schön, der einst mit Hamburger Geld das Weißenseer Gut kaufte und später darauf die Stadtrandgemeinde Neu-Weißensee gründete. Auch die nach diversen hanseatischen Geldgebern benannten Straßen gibt es dort bis heute. Ganz andere Geldströme flossen in Berlins Hansaviertel am Tiergarten. Dort zog ab 1875 Berlins wohlhabendes Bürgertum in noble Wohnungen Hunderter neuer Mietpaläste, schon vor 150 Jahren mit elektrischen Fahrstühlen ausgestattet. Das neue Hansaviertel der 50er-Jahre versammelte dann internationale Spitzenarchitekten. Jeder der berühmten Meister durfte dort ein Haus bauen, das sich als Solitär in eine Siedlung für wiederum 4000 Bewohner fügte, die schon lange unter Denkmalsschutz steht.
Der Rundgang beginnt am Sonnabend, 13. April, um 11 Uhr. Treffpunkt ist die Sonnenuhr am Zeiss-Großplanetarium, Prenzlauer Allee 80. Die Tour wiederhole ich am 27. April um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Die Führung am 13. April ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 8. April, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.