Berliner erzählen ihre ganz persönlichen Geschichten zum 9. November 1989
"Den Tag werde ich nie vergessen!"
Jürgen Sonka, 68, aus Pankow:
Ich habe das Ereignis schlicht verschlafen. Erst am Morgen des 10. November habe ich mich gewundert, warum die Straßenbahnen so voll waren. Damals war ich in einer Maurerbrigade in der Nähe der Grenze tätig und so habe ich mich mit den Kollegen der Frühschicht sofort in Richtung Ku'damm aufgemacht. Gelandet sind wir in Westberlin aber zunächst in einem reinen Wohngebiet in Moabit. Mein erster Gedanke war: Wo sind denn die ganzen bunten Geschäftsauslagen und Neonlichtfassaden – das sieht ja genauso aus wie bei uns. Die großen Umbrüche folgten dann später, an die mussten sich besonders wir Ossis anpassen, was nicht immer einfach war. Heute ist die Wiedervereinigung längst zum Alltag geworden, aber diesen besonderen Tag werde ich nie vergessen.
Kolja Brachhaus, 17, aus Prenzlauer Berg:
Ich bin 13 Jahre nach dem Mauerfall im wiedervereinigten Berlin geboren und die Teilung der Stadt ist für mich zunächst Geschichte. Meine Eltern kommen aus beiden Teilen Deutschlands, und so habe ich aus ihren Erzählungen sowohl die östliche als auch die westliche Perspektive mitbekommen. In meinem Alltag hat das Thema Teilung und Wiedervereinigung aber bisher kaum eine Rolle gespielt und auch in meiner Schule ist es eigentlich kein Thema. Wenn ich mich durch Berlin bewege, ist mir nicht so recht bewusst, ob ich gerade im ehemaligen West- oder Ostteil bin. Somit ist auch der 9. November für mich eigentlich ein Tag wie jeder andere.
Theo Kühlkamp, 52, aus Wilmersdorf:
Vom Mauerfall habe ich erst am folgenden Tag erfahren. Damals habe ich in Westberlin nebenbei als Taxifahrer gearbeitet und an diesem Tag und in der Folgezeit viele Ostberliner zu den Hotspots im Westen und auch wieder zurück an die Grenzübergänge gefahren. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, was für eine tolle und gelöste Atmosphäre überall herrschte. Alle Menschen waren von einer Euphorie und Freude ergriffen, die ich so vorher und nachher nicht mehr erlebt habe. Und dann waren da noch die vielen Trabis in den Straßen – für mich ein ungewohntes Bild, ebenso wie teils leergekaufte Regale in den Supermärkten.
Michael Beyer, 50, aus Mitte:
Es war ein seltsamer Zufall: Am 9. November war ich in Mannheim auf einem Konzert von Nina Hagen. Ich weiß noch, dass sie an dem Abend den Titel „Michail, Michail“ gespielt hat. Der Song war da als ein Augenzwinkern auf Michael Gorbatschows Perestroika-Politik gemeint. Aber erst zu Hause habe ich vom Mauerfall erfahren und dann die ganze Nacht vor dem Fernseher verbracht. Ebenfalls ganz passend zum Nina-Hagen-Hit: „Ich glotz TV.“ Ich finde, wenn es in Deutschland einen Grund zum Feiern gibt, dann ist es genau dieser Tag. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte ich die Hälfte meines heutigen Freundeskreises nie kennengerlernt.
Susanne Miethig, 49, aus Alt-Hohenschönhausen:
Am Abend des 9. November 1989 kam ich mit dem Zug aus Leipzig von der „Messe der Meister von Morgen“. Als ich zu Hause den Fernseher eingeschaltet habe, konnte ich nicht glauben was ich da sah. Ich bin runter auf die Straße gegangen, um Leute zu fragen, ob es stimmt, dass die Grenze offen ist. Am nächsten Tag hat sich in der Vorlesung der Professor gewundert, dass wir an einem solchen Tag überhaupt gekommen sind. Dann hat er uns den schnellsten Weg zum nächsten Grenzübergang erklärt. Auf dem Ku'damm bekamen wir umsonst Kaffee und konnten sogar die Tassen mitnehmen. Meine benutze ich heute noch, eine schöne Erinnerung an diesen wunderbaren Tag. Für mich persönlich kam der Mauerfall zur rechten Zeit, eröffnete mir neue Perspektiven und viele berufliche Möglichkeiten.
Martina Manecke, 64, aus Kreuzberg:
Damals war ich in einer Rockdisko in der Kreuzberger Oranienstraße und habe mich gewundert, dass mir auf der Tanzfläche jemand auf die Schulter tippte und mit erwartungsvoller Geste meinte, er sei aus Ostberlin. Ich habe in dem Moment gar nicht verstanden, warum er mir das sagte und was daran so außergewöhnlich sein sollte. Am nächsten Tag saß ich mit meinen Freunden in unserem Stammcafé und Scharen von staunenden DDR-Bürgern zogen auf der Straße an uns vorbei. Die haben uns durch die Fenster mit großen Augen angeschaut und ich kam mir ein bisschen wie in einem Aquarium vor. Der Mauerfall und die Wiedervereinigung 1990 waren jedenfalls einmalige tolle Erlebnisse. Allerdings finde ich, dass sich seitdem in Deutschland das soziale Miteinander eher zum Schlechteren entwickelt hat.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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