Vom Beamtenjob zur Heilsarmee
Siegfried Fischer verabschiedet sich aus dem Kiez

Siegfried Fischer leitete 33 Jahre lang das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11. Er war stets für Menschen am Rande der Gesellschaft und all jene da, die sich in der Großstadt einsam fühlten. | Foto: Bernd Wähner
3Bilder
  • Siegfried Fischer leitete 33 Jahre lang das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11. Er war stets für Menschen am Rande der Gesellschaft und all jene da, die sich in der Großstadt einsam fühlten.
  • Foto: Bernd Wähner
  • hochgeladen von Bernd Wähner

Er hatte seine Vorbehalte nach Berlin zu kommen, aber „die Liebe zieht mehr als sieben Pferde“ sagt eine alte Weisheit. Und in den zurückliegenden drei Jahrzehnten entwickelte sich Siegfried Fischer zu einer echten Kiezgröße, den viele Menschen entlang der Schönhauser Allee und weit darüber hinaus kennen. Nun sagt er tschüss.

Siegfried Fischer leitete 33 Jahre das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11. Dessen Träger ist die Heilsarmee. Die gab es viele Jahrzehnte im Ostteil der Stadt nicht mehr. Aber am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer geöffnet. Die überschwängliche Freude wandelte sich bei vielen Menschen im Ostteil der Stadt nach und nach in Ernüchterung. Viele verloren ihren Job. Die Mieten und Lebenshaltungskosten stiegen. Mancher wurde zum Fall für die Sozialhilfe, und einige glitten sogar in die Obdachlosigkeit ab.

Dass er sich einmal um obdachlose und sozial schwache Menschen in Prenzlauer Berg kümmern würde, hätte Siegfried Fischer Anfang der 90er-Jahren nicht gedacht. Der Diplom-Verwaltungswirt hatte einen sicheren Job als Beamter auf Lebenszeit bei der Bundesknappschaft in Bochum. „Die DDR interessierte mich nicht. Ich hatte weder Verwandte im Osten noch sonst irgendwelche Kontakt“, gibt er freimütig zu. Ende der 80er-Jahre war Siegfried Fischer aber bereits ehrenamtlich tätig. Als Christ engagierte er sich in der Gefängnisarbeit. Dabei lernte er Jo Scharwächter kennen. Der machte damals mit seiner "Karriere" vom Zuhälter und Berufskriminellen zum Pastor in der Heilsarmee von sich reden. Mit ihm organisierte Fischer Weihnachtsfeiern für Inhaftierte.

Scharwächter lud ihn auch ein, an einer Aktion der Heilsarmee in Berlin teilzunehmen. Dabei lernte Fischer im September 1990 seine spätere Frau Angela kennen. „Es hatte sofort gefunkt“, erinnert sich Siegfried Fischer. Doch dass er wenig nach Berlin kommen würde, war da noch nicht abzusehen. Dafür sorgte ein Stückweit Reinhard Kraetzer (SPD), der damalige Sozialstadtrat vom seinerzeit noch eigenständigen Bezirk Prenzlauer Berg. Der hatte einen Markt der Möglichkeiten in Wedding besucht und wurde auf das Engagement der Heilsarmee für Obdachlose aufmerksam. Er erklärte dem damaligen Chef der Berliner Heilsarmee, Rolf Metzger, dass man sich solch ein Engagement auch in Prenzlauer Berg wünsche. Die Zahl der Obdachlosen und sozial Benachteiligten nahm damals stetig zu.

Metzger wiederum wandte sich, wohl wissend um die Sympathie, die Angela und Siegfried füreinander hegten, an die beiden, die damals Anfang 30 waren. Er fragte, ob sich sie vorstellen könnten, eine Obdachloseneinrichtung in Prenzlauer Berg aufzubauen. „Ich habe mich dann zunächst für ein Jahr beurlauben lassen und bin im Januar 1991 nach Berlin gekommen“, berichtet Siegfried Fischer. Noch im Januar heirateten die beiden. „Fünf Tage nach unserer Hochzeit begannen wir dann mit unserer sozialen Arbeit zunächst in der Naugarder Straße“, erinnert sich Fischer. „Anfangs lief alles über Spenden. Wir hatten zu Mittag vier Sorten Dosensuppe anzubieten.“ Am 22. Februar 1992 wurde in der Kuglerstraße 11 das Café Treffpunkt eröffnet.

Fischer selbst hätte seine Auszeit vom Job gern verlängert. Er wollte sich weiter in Prenzlauer Berg engagieren. Weil das nicht möglich war, stieg er aus seinem sicheren Beamtenjob aus. 33 Jahren war er anschließend Leiter des Cafés Treffunkt der Heilsarmee und fester Bestandteil der Sozialarbeit für Bedürftige im heutigen Bezirk Pankow. Gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Helfern unterstützte er über all die Jahre unermüdlich Hunderte Menschen bei der Bewältigung ihrer Existenzprobleme. Mancher zerbrach am Alkohol, andere an gescheiterten Partnerschaften. Wieder andere waren mit dem Alltag in der wiedervereinten Stadt überfordert oder überschuldeten sich. Manche waren einsam in der Anonymität der Großstadt.

Sie alle fanden bei Siegfried Fischer und weiteren Helfern ein offenes Ohr und das Angebot auf Hilfe. Dabei hatte Siegfried Fischer mit der Einrichtung selbst einige Klippen zu umschiffen, beispielsweise wenn Fördermittel ausblieben oder gar eine Fusion des Treffpunkts mit einem anderen Träger an einem anderen Ort zur Debatte stand. Und in diesem Frühjahr stand der Treffpunkt wieder einmal vor dem Aus, weil sich kein Nachfolger fand. Dass er all diese Klippen umschiffte und nun die Leitung der Einrichtung an kompetente Nachfolger übergeben kann, versüßt dem inzwischen 70-jährigen den Abschied, wie er gesteht. Das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11 wird künftig von den Heilarmee-Majoren Michael und Sabine Geymeier geleitet.

Näheres zum Café Treffpunkt ist auf www.heilsarmee.de/prenzlauerberg/ueber-uns.html zu erfahren.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

89 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 672× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 1.339× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 997× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.440× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.342× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.