Vom Beamtenjob zur Heilsarmee
Siegfried Fischer verabschiedet sich aus dem Kiez
Er hatte seine Vorbehalte nach Berlin zu kommen, aber „die Liebe zieht mehr als sieben Pferde“ sagt eine alte Weisheit. Und in den zurückliegenden drei Jahrzehnten entwickelte sich Siegfried Fischer zu einer echten Kiezgröße, den viele Menschen entlang der Schönhauser Allee und weit darüber hinaus kennen. Nun sagt er tschüss.
Siegfried Fischer leitete 33 Jahre das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11. Dessen Träger ist die Heilsarmee. Die gab es viele Jahrzehnte im Ostteil der Stadt nicht mehr. Aber am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer geöffnet. Die überschwängliche Freude wandelte sich bei vielen Menschen im Ostteil der Stadt nach und nach in Ernüchterung. Viele verloren ihren Job. Die Mieten und Lebenshaltungskosten stiegen. Mancher wurde zum Fall für die Sozialhilfe, und einige glitten sogar in die Obdachlosigkeit ab.
Dass er sich einmal um obdachlose und sozial schwache Menschen in Prenzlauer Berg kümmern würde, hätte Siegfried Fischer Anfang der 90er-Jahren nicht gedacht. Der Diplom-Verwaltungswirt hatte einen sicheren Job als Beamter auf Lebenszeit bei der Bundesknappschaft in Bochum. „Die DDR interessierte mich nicht. Ich hatte weder Verwandte im Osten noch sonst irgendwelche Kontakt“, gibt er freimütig zu. Ende der 80er-Jahre war Siegfried Fischer aber bereits ehrenamtlich tätig. Als Christ engagierte er sich in der Gefängnisarbeit. Dabei lernte er Jo Scharwächter kennen. Der machte damals mit seiner "Karriere" vom Zuhälter und Berufskriminellen zum Pastor in der Heilsarmee von sich reden. Mit ihm organisierte Fischer Weihnachtsfeiern für Inhaftierte.
Scharwächter lud ihn auch ein, an einer Aktion der Heilsarmee in Berlin teilzunehmen. Dabei lernte Fischer im September 1990 seine spätere Frau Angela kennen. „Es hatte sofort gefunkt“, erinnert sich Siegfried Fischer. Doch dass er wenig nach Berlin kommen würde, war da noch nicht abzusehen. Dafür sorgte ein Stückweit Reinhard Kraetzer (SPD), der damalige Sozialstadtrat vom seinerzeit noch eigenständigen Bezirk Prenzlauer Berg. Der hatte einen Markt der Möglichkeiten in Wedding besucht und wurde auf das Engagement der Heilsarmee für Obdachlose aufmerksam. Er erklärte dem damaligen Chef der Berliner Heilsarmee, Rolf Metzger, dass man sich solch ein Engagement auch in Prenzlauer Berg wünsche. Die Zahl der Obdachlosen und sozial Benachteiligten nahm damals stetig zu.
Metzger wiederum wandte sich, wohl wissend um die Sympathie, die Angela und Siegfried füreinander hegten, an die beiden, die damals Anfang 30 waren. Er fragte, ob sich sie vorstellen könnten, eine Obdachloseneinrichtung in Prenzlauer Berg aufzubauen. „Ich habe mich dann zunächst für ein Jahr beurlauben lassen und bin im Januar 1991 nach Berlin gekommen“, berichtet Siegfried Fischer. Noch im Januar heirateten die beiden. „Fünf Tage nach unserer Hochzeit begannen wir dann mit unserer sozialen Arbeit zunächst in der Naugarder Straße“, erinnert sich Fischer. „Anfangs lief alles über Spenden. Wir hatten zu Mittag vier Sorten Dosensuppe anzubieten.“ Am 22. Februar 1992 wurde in der Kuglerstraße 11 das Café Treffpunkt eröffnet.
Fischer selbst hätte seine Auszeit vom Job gern verlängert. Er wollte sich weiter in Prenzlauer Berg engagieren. Weil das nicht möglich war, stieg er aus seinem sicheren Beamtenjob aus. 33 Jahren war er anschließend Leiter des Cafés Treffunkt der Heilsarmee und fester Bestandteil der Sozialarbeit für Bedürftige im heutigen Bezirk Pankow. Gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Helfern unterstützte er über all die Jahre unermüdlich Hunderte Menschen bei der Bewältigung ihrer Existenzprobleme. Mancher zerbrach am Alkohol, andere an gescheiterten Partnerschaften. Wieder andere waren mit dem Alltag in der wiedervereinten Stadt überfordert oder überschuldeten sich. Manche waren einsam in der Anonymität der Großstadt.
Sie alle fanden bei Siegfried Fischer und weiteren Helfern ein offenes Ohr und das Angebot auf Hilfe. Dabei hatte Siegfried Fischer mit der Einrichtung selbst einige Klippen zu umschiffen, beispielsweise wenn Fördermittel ausblieben oder gar eine Fusion des Treffpunkts mit einem anderen Träger an einem anderen Ort zur Debatte stand. Und in diesem Frühjahr stand der Treffpunkt wieder einmal vor dem Aus, weil sich kein Nachfolger fand. Dass er all diese Klippen umschiffte und nun die Leitung der Einrichtung an kompetente Nachfolger übergeben kann, versüßt dem inzwischen 70-jährigen den Abschied, wie er gesteht. Das Café Treffpunkt an der Kuglerstraße 11 wird künftig von den Heilarmee-Majoren Michael und Sabine Geymeier geleitet.
Näheres zum Café Treffpunkt ist auf www.heilsarmee.de/prenzlauerberg/ueber-uns.html zu erfahren.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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