„Wir wollen gehört werden“
Menschen mit Behinderung suchen den Dialog mit dem Senat – im Interesse aller
Laut Schätzungen leben rund 600.000 Menschen mit Behinderungen in Berlin, die aber im politischen Leben weitgehend unterrepräsentiert sind. Das soll sich mit der Etablierung des Berliner Behindertenparlaments (BBP) ändern. Nach dem Auftakt des Gremiums vor drei Jahren, der sich aufgrund der Pandemie zunächst etwas holprig gestaltete, ist das Parlament Anfang Dezember zum dritten Mal zusammengekommen, zum zweiten Mal im Berliner Abgeordnetenhaus.
Die Teilnahme am BBP steht allen Menschen mit Behinderungen, deren Angehörigen und Betreuern offen. Beteiligt sind unter anderem Organisationen wie die Lebenshilfe, der Behindertenverband, die Landesvereinigung Selbsthilfe und der Paritätische Wohlfahrtsverband. Für die Tagung wurden 100 Delegierte aus über 200 Bewerbern zufällig ausgewählt, die allesamt Einschränkungen mitbringen, die von körperlichen Behinderungen bis zu Lernschwierigkeiten reichen. Die hohe Beteiligung wertet Dominik Peter, Präsidiumsmitglied und Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, als Zeichen des großen Interesses der Menschen mit Behinderungen an politischer Mitbestimmung. „Zwar hat das Behindertenparlament keine Entscheidungsbefugnis, aber wir haben es geschafft, einen Gesprächsrahmen mit den politischen Verantwortlichen zu schaffen, in dem sie uns zuhören und unsere Anliegen wahrnehmen.“
Ähnlich sieht es der Initiator und jetzige Präsident des BBP, Christian Specht. Der gebürtige Kreuzberger ließ sich bei der Gründungsidee einst vom Bremer Behindertenparlament inspirieren, das schon seit über 25 Jahren in der Hansestadt etabliert ist. Sein Credo: „Menschen mit Behinderung werden in der Politik nicht ausreichend vertreten und müssen Gehör finden.“ Um dies zu erreichen, haben viele engagierte Mitstreiter bereits im Vorfeld in sogenannten Fokusgruppen politische Forderungen ausgearbeitet, die bei der Tagung im Dezember in Form von konkreten Anträgen an den Senat übergeben wurden. Die reichen von barrierefreien Fußwegen über mehr Anstrengungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt bis hin zur Abschaffung von Barrieren bei der ärztlichen Versorgung. Im Gegensatz zum Jahr 2022, als noch 17 Anträge gestellt wurden, beschränkte sich das BBP dieses Mal auf nur noch sieben Forderungen. Für Gerlinde Bendzuck, ebenfalls Präsidiumsmitglied und Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin, ist das das Ergebnis eines gewissen Lernprozesses. „Wir konzentrieren uns auf die wichtigsten Anliegen, wollen beharrlich bleiben und sind auf die Reaktion der Verantwortlichen gespannt.“
Magere Bilanz für 2022
Die Bilanz fiel bislang allerdings eher mager aus: Auf die 17 Anträge im Jahre 2022 gab es zwar in 13 Fällen Stellungnahmen seitens der Senatsverwaltung, konkret umgesetzt wurde aber bis heute keiner. Somit scheint das immerhin im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel einer inklusiven Stadt Berlin noch ziemlich weit entfernt. Bendzuck, Specht und Peter sehen das derweil eher gelassen. Ihr Ansatz ist es, mit der Arbeit des BBP nachhaltig Öffentlichkeit zu schaffen und die Probleme von Menschen mit Behinderungen sichtbar zu machen.
Finanzierung muss gesichert werden
Die Idee von Christian Specht, dabei vor allem auch Nichtbehinderte mit ins Boot zu holen, erklärt Dominik Peter an einem Beispiel: „Das Thema geht alle an. Oft wird vergessen, dass zum Beispiel von einem funktionierenden barrierefreien Aufzug nicht nur Behinderte, sondern jedermann, so auch viele Senioren profitieren.“ Vergessen werden sollte ebenfalls nicht eine wichtige Voraussetzung für die weitere Arbeit des Parlaments, so Gerlinde Bendzuck. „Unter anderem die Vorbereitung auf den nächsten Parlamentstag Ende des Jahres ist ein erheblicher Aufwand und nicht allein durch Ehrenamtliche zu stemmen. Das erfordert eine Finanzierung, die bislang noch nicht gesichert ist.“
Weitere Informationen über die Arbeit des BBP finden sich auch im Internet auf www.behindertenparlament.berlin.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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