Heißer Kaffee als Türöffner
Das Projekt Karuna Sub betreibt eine eigene Buslinie für Obdachlose
Die beiden Kleinbusse auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg sind knallbunt und erinnern an das Cover des Beatles-Albums Yellow Submarine. „Wir wollen auffallen, überall wie ein U-Boot auftauchen und die Leute aus den Tiefen an die Oberfläche hochholen“, sagt Lutz Müller-Bohlen.
Der gelernte Krankenpfleger leitet das Projekt Karuna Sub, eine Buslinie, die seit Mai dieses Jahres zur Verbesserung der Mobilität Obdachloser in Berlin im Einsatz ist. Gefördert wird Karuna Sub durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Träger ist die Karuna Sozialgenossenschaft eG. Sie realisiert gemeinsam mit Jugendlichen, Obdachlosen und einem breiten Bündnis aus der Zivilgesellschaft innovative Zukunftsprojekte wie zum Beispiel Karuna Sub.
Empathie mit Menschen auf der Straße
Rund ein halbes Dutzend engagierter Mitarbeiter fährt montags bis freitags zwischen 8 und 16.30 Uhr einschlägige Plätze an und verteilt Kaffee, Frischwasser und Hygieneartikel. „Während ein Bus bei den Stationen verweilt, können mit dem zweiten „Flexbus“ Obdachlose transportiert werden – in Krankenhäuser, Notunterkünfte, zum Duschen, Haareschneiden, zu Ämtern oder Beratungsstellen“, erklärt Conrad Adams. Er unterstützt im Bundesfreiwilligendienst das Team, seine Kollegin Nicky Stegemann ist im Rahmen eines Minijobs speziell für die sensible Kommunikation mit obdachlosen Frauen tätig. Arvid Männicke kümmert sich als „Mädchen für alles“ vorrangig um den technischen Zustand der Wagen. Alle im Team vereint die Empathie mit den Menschen, die auf der Straße ums Überleben kämpfen.
Schätzungen zufolge sind das derzeit in Berlin bis zu 10 000. Viele schämen sich für ihre Situation, wechseln aus verschiedensten Gründen oft ihre Aufenthaltsorte. Dies wiederum ist ein Problem für das Karuna- Sub-Team: „Wir standen anfangs auch an Orten, an denen es gar keine Obdachlosen gab. Erst durch eigene Suche und Hinweise aus der Bevölkerung sind wir auf die einschlägigen Plätze aufmerksam geworden. So wurden wir langsam zu Experten aus Erfahrung“, sagt Müller-Bohlen.
Im Müll, ohne Toilette und fließendes Wasser
An diesem Tag starten die mobilen Hilfsbusse am Bahnhof Lichtenberg. Dann geht es unter anderem zur Rummelsburger Bucht. „Hier leben derzeit rund 150 Menschen in untragbaren Verhältnissen im Müll, ohne Toiletten und fließendes Wasser“, warnt Lutz Müller-Bohlen und ergänzt: „An die heranzukommen, ist aber nicht ganz einfach. Es braucht Zeit, das Vertrauen von Menschen zu gewinnen, deren Leben bislang nur von Verlusten, Brüchen und Demütigungen geprägt war.“ Die Schicksalsgemeinschaft auf der Straße ersetze dabei fehlende Sozialstrukturen und werde mitunter sogar einer Wohnung und einem geregelten Leben in Einsamkeit vorgezogen. Alkohol und Drogen verstärkten diesen Teufelskreis noch.
Eine andere Entwicklung gibt Lutz Müller-Bohlen ebenfalls Anlass zur Sorge: „Der sich verschärfende Wohnungsnotstand und die Mietenexplosion haben dazu geführt, dass das Problem Obdachlosigkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Selbst Leute mit Ausbildung, Hochschulstudium und langjähriger Berufserfahrung sind betroffen.“ Ein Grund mehr für das Karuna-Sub-Team dranzubleiben und mit den bunten U-Booten auf Rädern überall dort aufzutauchen, wo es nottut.
Dabei darf ein großer Kaffeevorrat nicht fehlen – eine wichtige Erfahrung, die Lutz Müller-Bohlen im Umgang mit den Obdachlosen gemacht hat: „Heißer Kaffee ist nicht nur im Winter immer der erste Einstieg, der erleichtert uns den Zugang zu den Menschen und schließt die Seelen auf.“
Infos im Internet unter www.karuna-sozialgenossenschaft.de/archiv/.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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