Eine permanente Mahnung
Die Berliner Tafel prangert Lebensmittelverschwendung und Armut an
Eigentlich klingt es ganz einfach: Übrig gebliebene Lebensmittel in Supermärkten, im Handel, in Hotels und Gaststätten einsammeln und an Bedürftige verteilen. Was das aber in der praktischen Umsetzung bedeutet, weiß kaum jemand besser als Sabine Werth.
Die gelernte Sozialarbeiterin und Unternehmerin hat mit einer Handvoll Gleichgesinnter 1993 die Berliner Tafel gegründet, die sie bis heute ehrenamtlich leitet. „Das Konzept stammt ursprünglich von der New Yorker Organisation City Harvest (Ernte in der Stadt) und ließ sich gut auf Berlin übertragen“, erinnert sich Sabine Werth und ergänzt: „Die Herausforderung bestand darin, ein Netzwerk und ein funktionierendes logistisches System aufzubauen.“ Das ist wahrlich gelungen, denn aus der Handvoll Menschen sind mittlerweile 2700 ehrenamtliche Mitarbeiter geworden. Allein 1600 davon arbeiten für „Laib und Seele“, dem Gemeinschaftsprojekt der Berliner Tafel, der Berliner Kirchen und des RBB, das unlängst 15jähriges Jubiläum feierte. Das Konzept der Berliner Tafel, gespendete Lebensmittel an soziale Einrichtungen zu liefern, wurde damit auf Privatpersonen erweitert.
Die Politik muss sich ändern
Nun sammeln Helfer mit 22 Sprintern an 850 Stellen in der Stadt monatlich rund 660 Tonnen Lebensmittel ein und sind auch bei Großevents wie der Grünen Woche oder Fruit Logistica aktiv. In 45 Ausgabestellen werden diese Lebensmittel an bis zu 50 000 Bedürftige ausgegeben, allerdings nur einmal wöchentlich. „Es bleibt bei einem Wochentag, denn das Projekt soll unterstützen und nicht versorgen“, erklärt Sabine Werth und betont: „Dass wir derzeit ausschließlich mit Spenden, Mitgliedsbeiträgen und ehrenamtlicher Arbeit insgesamt bis zu 125 000 Menschen (inklusive der in sozialen Einrichtungen) helfen, sehe ich als eine permanente Mahnung an die Politik.“ Dabei verzichte die Berliner Tafel bewusst auf staatliche Hilfe, so Sabine Werth: „Wir wollen unabhängig bleiben und uns die Freiheit bewahren, Kritik zu üben.“ Ihre Forderung: „Zunächst muss die Regierung etwas gegen die ungeheure Verschwendung tun - in Deutschland werden jährlich knapp 13 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist konkrete Armutsbekämpfung.“
Dass es dafür hohe Zeit ist, belegt die neuste Zahl von über 1,6 Millionen bedürftigen Menschen deutschlandweit. Parallel dazu verzeichnen die Tafeln trotz steigender Helferzahlen einen Rückgang an geleisteten Arbeitsstunden. Ein Trend, den Sabine Werth für Berlin nicht bestätigen kann. Sowohl die Bedürftigenzahlen als auch der Umfang der Ehrenamtstätigkeit seien in Berlin derzeit konstant. „Es sind aber überwiegend Rentner, da viele Berufstätige die vorausgesetzten acht Mindeststunden am Stück mit ihrer Arbeitszeit nicht vereinbaren können“, sagt Sabine Werth. Viele seien, so die Vorsitzende, oft selbst Hartz4-Empfänger, über Arbeitsmaßnahmen zur Tafel gekommen, kennen aus eigener Erfahrung die Warteschlangen vor einer Ausgabestelle. Durch ihren Einsatz wollen sie nun etwas zurückgeben.
Pfandautomaten mit Spendefunktion
Sabine Werth ist derweil ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, Geld und Sachspenden für die Tafel zu sammeln. Erfolgreich installiert wurden zum Beispiel Pfandautomaten mit Spendenfunktion in Supermärkten oder Sammelboxen von Lebensmitteln und Kosmetika an den Sicherheitskontrollen der Flughäfen. Auch das Projekt Kimba kommt an: Kindern wird übers Kochen in einem Bus, Bahnwaggon oder in der Schule die Wertschätzung für Lebensmittel vermittelt. Und für 2020 hat Sabine Werth bereits eine Herzensangelegenheit in eigener Sache ins Auge gefasst: „Ich suche eine Grabstelle für langjährige Tafel-Mitarbeiter ohne Angehörige, die ansonsten nur ein anonymes Armenbegräbnis bekommen würden.“
Berliner Tafel, Beusselstraße 44 n-q, 10553 Berlin, Telefon 7827414. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.berliner-tafel.de.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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