Stress zu Hause und in der Schule
Ehrenamtliche von JugendNotmail beraten Jugendliche in Notlagen und Krisensituationen
Als Kathrin Weitzel vor sechs Jahren die Anzeige in der Zeitschrift „Psychologie heute“ entdeckte, wusste sie sofort, dass es das Richtige für sie ist. „Die Onlineberatung JugendNotmail suchte Praktikanten. Ich war zu der Zeit mitten in meinem Psychologiestudium. Und diese Tätigkeit bot mir die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln.“
Was als Praktikum begann, wurde für Kathrin Weitzel bald zu einem regelmäßigen Ehrenamt. Die Psychologin arbeitet heute hauptberuflich als Gutachterin im Familienrecht und steht in ihrer Freizeit drei- bis viermal wöchentlich für rund vier Stunden mit Jugendlichen in regem E-Mail-Austausch. „Ich bin flexibel in den Zeiten, logge mich von zu Hause aus ein und habe auch Spielraum in der Auswahl der Anfragen, die ich beantworte“, erklärt sie. So wie Kathrin Weitzel bearbeiten derzeit bundesweit rund 160 ehrenamtliche Fachkräfte – überwiegend Psychologen und Sozialpädagogen – die Anfragen. In der Beratung vermitteln sie falls nötig weitere konkrete Hilfen bis hin zu Therapien.
JugendNotmail wurde 2001 von dem gemeinnützigen Verein „jungundjetzt“ ins Leben gerufen und gehört seit Juli 2020 zur KJSH-Stiftung, einem großen Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Kostenlos und vor allem vertraulich können Kinder und Jugendliche ihre schwierigen, belastenden, oft tabuisierten und intimen Sorgen anonym dem Berater anvertrauen. Nach Möglichkeit werden ihnen dabei feste Ansprechpartner zugeteilt, die vor allem Kompetenzen vermitteln, die den Jugendlichen helfen, selbst Lösungsansätze zu finden. Gleichzeitig sichern Analysen des E-Mail-Verkehrs, Supervisionen und Weiterbildungen der Ehrenamtlichen die Qualität der Beratung.
1000 Notrufe pro Monat
Seit Bestehen von Jugend-Notmail wurden bereits rund 145.000 Hilferufe beantwortet, monatlich treffen bis zu 1000 Notrufe ein, Tendenz steigend. „Besonders viele Anfragen erreichen das Team seit Beginn der Corona-Pandemie“, sagt Ina Lambert, Fachleiterin bei JugendNotmail. So seien die Online-Beratungen zwischen März und Oktober um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Die Gründe liegen für Ina Lambert auf der Hand: „Die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche in diesen Zeiten sind enorm. Für viele stellen Aktivitäten mit Gleichaltrigen, Sport oder Musizieren einen wichtigen Ausgleich zum Stress in der Schule oder mit den Eltern dar – und dies fällt nun erneut weg. Dazu muss der Alltag derzeit ständig an neue Regelungen angepasst werden, sodass ein sicherer, verlässlicher Rahmen fehlt.”
Das bestätigen auch die Erfahrungen von Kathrin Weitzel. „Die psychiatrischen Symptomatiken haben zugenommen. Themenschwerpunkte sind Ängste aller Art und Konflikte in den Familien, gefolgt von Depressionen und Themen wie Liebe, Sexualität, Gewalt und Suizid.“ Für Kathrin Weitzel sind die steigenden Anfragen ein klares Zeichen dafür, dass das soziale Umfeld – nämlich Familie, Freunde und Schule – nun besonders gefordert ist. Ihr Credo lautet daher: „Wir brauchen mehr Achtsamkeit in der Gesellschaft!“
Beratung im Chat
JugendNotmail hat derweil auf die gestiegene Nachfrage reagiert. Seit November werden zusätzlich dreimal wöchentlich Chat-Beratungen in Echtzeit angeboten. „In vielen Fällen fehlt den Ratsuchenden die Geduld, auf eine Antwort zu warten, da ihre Themen oft akut sind“, sagt Ina Lambert. „Mit dem Einzelchat bieten wir eine bedarfsorientierte Beratung an, die man sich wie eine offene Sprechstunde vorstellen kann. Hier ist erst einmal jedes Anliegen willkommen.“
Auf www.jugendnotmail.de finden sich alle Infos sowie der Zugang zur Beratung. Einzelchats sind dienstags von 17 bis 19 Uhr, donnerstags 19 bis 21 Uhr und freitags von 18 bis 20 Uhr möglich.
Autor:Michael Vogt aus Prenzlauer Berg |
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