Das sollte Schule machen
Vor 20 Jahren verpachtete Eigentümerin Marola M. Lebeck ihr Haus an einen Obdachlosenverein
Das Haus Oderberger Straße 12 ist eines der ungewöhnlichsten Wohnprojekte im Bezirk. Während ringsherum die Mieten explodieren und bereits bis zu 16 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete gezahlt werden, liegt in diesem Haus seit Jahren der maximale Quadratmeterpreis bei 5,85 Euro nettokalt.
Vermieter ist der gemeinnützige Verein Strassenfeger. Und dass dieser 18 Wohnungen im Haus zu sozialverträglichen Mieten anbieten kann, ist Marola M. Lebeck zu verdanken. Diese übergab das Haus 1999 für 50 Jahre in Erbbaupacht an den Verein. Aus Anlass des 20. Jahrestages des Projektstarts ehrte der Verein die Mäzenin jetzt mit einer Tafel am Haus.
Marola M. Lebeck erhielt das Haus, das ihrer Familie gehörte, nach einem Restitutionsverfahren Ende der 90er-Jahre zurück. Kurz zuvor hatte sie sich in der S-Bahn ein Obdachlosenmagazin gekauft. In diesem las sie einen Beitrag über ein Selbsthilfebauprojekt für Obdachlose in einem anderen Bundesland. Spontan entschloss sie sich, ihr Haus solch einem Projekt zur Verfügung zu stellen. Und so nahm sie Kontakt mit mehreren Vereinen und Verbänden auf. Es sollte ein Projekt initiiert werden, in dem Obdachlose ihr Haus selbst sanieren und für sich ausbauen. Letztlich blieb der damalige Verein mob, der inzwischen Strassenfeger heißt, als ernsthafter Interessent übrig.
Was dann vor allem fehlte, war das Geld. Immerhin 3,8 Millionen D-Mark waren seinerzeit für die Umsetzung des ehrgeizigen Sanierungsvorhabens kalkuliert. Zum Glück gab es noch das Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramm „Wohnungspolitische Selbsthilfeprojekte“ des Senats. Aus diesem kam ein großer Teil der finanziellen Mittel. Etwa 15 Prozent der Kosten brachten der Verein und die Obdachlosen aber durch Eigenleistung auf. 20 Obdachlose investierten 50 000 Arbeitsstunden.
Inzwischen sind nicht nur alle Wohnungen, sondern auch die zwei Gewerbeeinheiten im Haus saniert. In der Oderberger Straße 12 wohnen heute ganz unterschiedliche Menschen: Alleinerziehende, Künstler und Familien mit geringen oder gar keinem Einkommen. Viele von ihnen waren zuvor ohne Obdach und wurden vom Verein Strassenfeger betreut.
Am längsten wohnt der Künstler Peter Leonhard im Haus, und zwar seit 1982. „Seitdem habe ich sehr viel erlebt“, sagt er lächelnd. „Die Kommunale Wohnungsverwaltung KWV und dann Anfang der 90er-Jahre die landeseigene WIP ließen das Haus herunterkommen. Zum Ende der DDR-Zeit waren bereits viele Mieter in den Westen abgehauen. Viele Wohnungen standen leer.“ Leonhard blieb. Als er mitbekam, dass im Haus Obdachlose in Selbsthilfe Wohnungen ausbauen wollten, war er zunächst skeptisch, gesteht Leonhard. „Aber die waren umgänglich und haben wirklich hart gearbeitet. Da war ich positiv überrascht. Seit gut 15 Jahren lebe ich in ruhiger und angenehmer Nachbarschaft.“
„Meine Entscheidung war richtig. Ich bin stolz, dass das Projekt vom Verein so umgesetzt wurde“, sagt heute Marola M. Lebeck. Barbara John, Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, hält „gerade in Zeiten steigender Mieten, Verdrängung und der Diskussion über die Enteignung von privaten Wohnungsunternehmen das Engagement von Frau Lebeck für außergewöhnlich“. Und Sawsan Chebli, Berlins Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, lobt Marola M. Lebeck als „Beispiel, das Schule machen sollte“.
Damit alle, die am Haus in der Oderberger Straße 12 vorbeikommen erfahren, um was für ein besonderes Gebäude es sich handelt, wurde jetzt eine Tafel am Hauseingang angebracht. In einem der Gewerberäume ging außerdem der Strassenfeger-Laden an den Start, in dem nun Veranstaltungen stattfinden und wechselnde Ausstellungen zu besichtigen sind.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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