"Das ist doch wie eine Familie hier"
Nachbarn kämpfen für Späti und Kiez-Pizzeria – und um die Seele ihres Kiezes

Ozgür Simsek und seine Frau Zülheyha haben wenig Hoffnung, dass sie doch noch bleiben dürfen.   | Foto: Ulrike Kiefert
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Tante-Emma-Läden, Spätis, Kiezkneipen: Sie verschwinden langsam aus der Stadt. Jüngste Beispiele sind ein Spätverkauf an der Raumerstraße in Prenzlauer Berg und die Kiez-Pizzeria De Noantri in Kreuzberg.

„Späti Raumer 6 muss bleiben“ lautet die Parole, mit der Anwohner rund um den Helmholtzkiez für den Erhalt des Spätverkaufs kämpfen. Der Mietvertrag läuft zum Jahresende aus und soll laut Betreiber nicht verlängert werden. „Wegen eines Formfehlers wurden wir vorab schon gekündigt und sollen jetzt so schnell wie möglich hier raus“, sagt Ozgür Simsek, der den Späti mit seiner Frau Zülheyha seit viereinhalb Jahren betreibt.

Doch viele Nachbarn sind damit nicht einverstanden. Sie haben eine Online-Petition gestartet, Transparente am Helmholtzplatz aufgehängt, Flyer verteilt und für den 15. August eine Kundgebung organisiert. „Der Späti gehört zum Kiez, er ist zu einem Treffpunkt für alle Nachbarn geworden“, sagt David. Der 31-Jährige wohnt selbst in der Raumerstraße und kommt oft nach der Uni vorbei. „Am Späti kann man sitzen und quatschen.“ Ein weiterer Nachbar nickt. „Den Späti kann sich jeder leisten, und man lernt hier schnell neue Leute kennen“, sagt der 23-Jährige. „Er würde dem Kiez auf jeden Fall fehlen.“

Die beiden gehören zu den mehr als 20 Anwohnern, die sich zu einem lockeren Bündnis zusammengeschlossen haben, um den Späti von Ozgür Simsek zu retten. Denn er ist nicht der einzige Kiezladen, der rund um den Helmholtzkiez verschwindet. Das „Frida Kahlo“, eine echte Institution, hat es schon erwischt, ebenso das „Downstairs Kino“, wo sonntags immer der „Tatort“ lief. Und auch das Kino Colosseum soll wie berichtet dicht gemacht werden. Ein bunter und belebter Kiez aber sieht anders aus, finden die Anwohner.

Nachbarn beklagen
"Gutsherrenmentalität"

Das sieht man andernorts genauso. Im Wrangelkiez zum Beispiel engagieren sich mehr als 300 Anwohner gerade für die Kiez-Pizzeria De Noantri an der Görlitzer Straße, die Ende Juli raus soll. Eine Facebook-Gruppe wurde gegründet und Mitte Juli zu einer Protestaktion aufgerufen. „Hier soll eine liebgewonnene Institution einfach rausgeworfen werden. Die Gutsherrenmentalität, mit der hier über die Gestaltung unserer Kieze entscheiden wird, nehmen wir Nachbarinnen und Nachbarn nicht mehr hin“, teilt Markus Kammermeier von der Nachbarschaftsinitiative „Bizim Kiez“ mit. Schließlich sei die Pizzeria in der Nachbarschaft als ein Betrieb mit Herz und sozialem Gewissen bekannt. „Sie gehört zur gewachsenen Struktur, die das soziale und kulturelle Rückgrat des Stadtteils bildet.“ Weitere Beispiele für die schleichende Verdrängung sind das „Ora35“. Der Spätverkauf ist seit 20 Jahren ein bekannter Treffpunkt im Kiez rund um die Oranienstraße 35 in Kreuzberg. Nachbarn sitzen dort oft auf den Bierbänken vor dem Laden. Oder der selbstverwaltete autonome Jugendklub „Potse“ in Schöneberg.

In Prenzlauer Berg ist Ozgür Simsek, den alle die „gute Seele des Helmi“ nennen, dankbar für das Engagement seiner Nachbarn. Auch wenn er raus muss, im Kiez würde er gern bleiben. „Das ist doch wie eine Familie hier.“ Gesucht hat er in der Nachbarschaft schon, aber nichts gefunden. Die Gewerbemieten kann sich kaum noch jemand leisten. Die liegen im Helmholtzkiez inzwischen bei bis zu 6000 Euro, haben die Anwohner gehört. Er selbst zahlt 780 Euro, erzählt Ozgür Simsek. Bei der Kundgebung am 15. August auf der Lychener Straße will er auf jeden Fall dabei sein. 500 Teilnehmer haben die Anwohner angemeldet, lokale Musiker und Künstler sind ebenfalls vor Ort. Um 14 Uhr geht's los – bis in den Abend. Die Online-Petition change.org/raumer6bleibt haben bisher 450 Leute unterschrieben. Für die Organisatoren ist sie die Basis für ein Bürgerbegehren, das folgen soll.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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