Die Genossin und die Nonne
Auf Spurensuche im Rudower Frauenviertel
Die Namensgeberinnen der Straßen und Plätze im Rudower Frauenviertel haben auf unterschiedlichen Gebieten etwas geleistet. Ein gutes Beispiel dafür ist das Nebeneinander von einer Sozialdemokratin und einer Ordensschwester – von Ottilie Baader und Hiltrud Dudek.
Ottilie Baader hatte keine leichte Kindheit und Jugend. Im Jahr 1847 in Frankfurt/Oder geboren, verlor sie schon früh ihre geliebte Mutter. Das Lesen , Schreiben und Rechnen brachte ihr der Vater bei. Erst als Zehnjährige besuchte sie eine normale Schule, allerdings nicht lange. Als sie 13 war, siedelte sie mit der Familie nach Berlin um.
Hier wurde sie Näherin und schuftete zwölf Stunden lang in einer Fabrik. Als der Vater krank wurde, pflegte sie ihn und verdiente als Heimarbeiterin ihren Lebensunterhalt. Später begann sie sich für Politik zu interessieren, auf ihr besonderes Interesse stieß August Bebels Werk „Die Frau und der Sozialismus“. Bald suchte sie Kontakt zur Arbeiterbewegung.
Allerdings war es Frauen in Preußen bis 1908 verboten, sich politisch zu organisieren. Deshalb griffen Sozialdemokratinnen zu einem Trick und erfanden die weibliche „Vertrauensperson“. Die war zwar aktiv, aber eine Einzelperson und keine Organisation, die man hätte verbieten können. Ab 1894 war Ottilie Baader Vertrauenspersons, von 1900 bis 1908 sogar „Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. Damit war sie eine der ersten hauptamtlichen Funktionärinnen der SPD. Ein Gehalt zahlte ihr die Partei allerdings erst ab 1904.
Ottilie Baader gilt neben Clara Zetkin als eine der bedeutendsten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland. Sie half beim Aufbau der Gewerkschaften, setzte sich für Kinderschutz und Arbeiterinnenbildung ein. Ab 1909 wohnte sie in einem Genossenschaftsbau in der Brusendorfer Straße, nahe dem heutigen S-Bahnhof Sonnenallee. Der war damals übrigens gerade in Planung und sollte ab 1912 den Namen „Kaiser-Friedrich-Straße“ tragen. Vier Jahre vor ihrem Tod, 1921, erschienen Ottilie Baaders Lebenserinnerungen mit dem beredten Titel „Ein steiniger Weg“.
Eine ganz andere Richtung schlug Elisabeth Dudek ein. Geboren im Jahr 1903, trat sie schon als Jugendliche dem Orden der Ursulinen bei, der ihr den Namen „Maria Hiltrud“ gab. Schnell war der jungen Frau klar, dass sie Lehrerin werden wollte. Sie studierte in Breslau Englisch, Geschichte und Deutsch. 1925 legte sie ihr Gelübde ab.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Ordensschwestern Schlesien verlassen; sie kamen nach Berlin. Schwester Hiltrud erwarb sich große Verdienste beim Aufbau der Neuköllner St. Marienschule, ein schwieriges Unterfangen: Raum war knapp, die Zeiten waren hart. Die Gemeinde St. Clara stellte den Schwestern im Pfarrhaus St. Eduard an der Kranoldstraße Schulzimmer zur Verfügung. Die Nachfrage war enorm, doch die behördliche Genehmigung für die konfessionelle Schule ließ auf sich warten. Trotzdem begannen die Ordensfrauen am 1. September 1948 zu unterrichten – illegal, im Schichtdienst und mit stillschweigender Duldung der Amerikaner.
Ein größeres Schulhaus musste dringend her. Deshalb reiste Rat Trawnik, Pfarrer von St. Clara, nach Rom, um vom Papst Geld zu erbitten, mit mäßigem Erfolg. An der Kienitzer Straße 18 wurden zwei Stockwerke gebaut, die später bei laufendem Betrieb mit Krediten aufgestockt wurden. Die Platznot blieb. 1955 zog man in ein ehemaliges Verwaltungsgebäude an der Oderstraße 55. Im Sommer 1962 war dann endlich die heutige Schule an der Donaustraße 58 bezugsfertig. Schwester Hiltrud leitete in den ersten Jahren die Grundschule, später, bis 1975, die Oberschule St. Marien. Bei ihren Mädchen war sie nicht nur wegen ihrer Fähigkeit, Wissen und Kenntnisse zu vermitteln beliebt, sondern auch wegen ihres natürlichen Umgangs.
Übrigens tragen die beiden Straßen seit dem 1. November 1996 ihre Namen. Am heutigen Hiltrud-Dudek-Weg befand sich früher – im Schatten der Mauer – ein Autokino. Der Betrieb lief rekordreife 18 Jahre, von 1966 bis 1984.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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