„Ich weiß nicht, wie wir das überlebt haben“
Im Neubau der Clay-Schule wird mit einem Lern- und Gedenklabor an die Zwangsarbeiter erinnert

Stadträtin Karin Korte bei ihrer Einführungsrede im Rohbau der neuen Schule. | Foto:  Schilp
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Am 27. Januar war der Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz. Dieses besondere Datum haben Bezirksamt, das Museum Neukölln sowie Schüler und Lehrer der Clay-Schule zum Anlass genommen, den zukünftigen Gedenkort für das Zwangsarbeiterlager im Neudecker Weg 22 vorzustellen.

Dort, wo der Neubau der Rudower Sekundarschule wächst, lebten in der Zeit von 1941 bis 1943 Menschen in drei abgezäunten Lagern. Aus ihrer Heimat verschleppt, mussten sie für die deutsche Rüstungsindustrie unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Viele wurden ins angrenzende Eternit-Werk abkommandiert, andere zu AEG und zu zehn weiteren Firmen.

Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) las zu Beginn der Veranstaltung aus den Erinnerungen der polnischen Zwangsarbeiterin Kazimiera Kosonowska vor: „Das hat uns so erschöpft, die Unterernährung, der Hunger, der Dreck; die Deutschen, die uns gequält haben. Die schwere Arbeit, die über alle Kräfte ging. Ich war ein junges Mädchen von 18 Jahren; ich musste 150 bis 200 Kilogramm schleppen – jeden Tag, zweieinhalb Jahre lang. Ich weiß nicht, wie wir das überlebt haben.“

Narcisse Nginamau und Sophie Schlick haben sich in der Arbeitsgemeinschaft intensiv mit dem Zwangsarbeiterlager beschäftigt. | Foto: Schilp
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Dass es auf dem ehemaligen Eternit-Gelände ein Zwangsarbeiterlager gab, wurde erst um 2010 der breiten Öffentlichkeit bekannt. Eine Wirtschaftsbaracke stand damals sogar noch. Vier Jahre später war der Neubau der Clay-Schule finanziell gesichert, die sich seit Jahrzehnten mit einem Provisorium am Bildhauerweg behelfen muss. Als Standort sollte das historisch belastete Gelände dienen. Nach einigem Hin und Her erlaubte das Landesdenkmalamt, die Baracke abzureißen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Bezirk, für archäologische Grabungen und eine Dokumentation zu sorgen.

Eröffnung im Herbst 2023

Das Ganze hat Dimensionen angenommen. Wenn die Schule im Herbst 2023 öffnet, wird es in der Eingangshalle ein großes Lern- und Gedenklabor geben. Eingebunden in die Entwicklung war und ist die Schularbeitsgemeinschaft „Zwangsarbeit“. Sophie Schlick und Narcisse Nginamau gehören dazu. Anfangs sei die Beschäftigung mit dem Thema sehr schockierend gewesen, erzählt Narcisse. „Manchmal haben hier 2000 Leute gelebt, eigentlich war das Lager aber nur für 1000 ausgelegt, das sagt schon viel.“ Die Menschen hätten vergammeltes Essen bekommen, die Versorgung sei ein Riesenproblem gewesen. Sophie berichtet, dass für den Gedenkort eine Baracke nachgebaut wird und ein Splittergraben, einzige Zuflucht für die Zwangsarbeiter bei Bombenangriffen. Vitrinen sind unterschiedlichen Aspekten gewidmet und auch bei Ausgrabungen geborgene Gegenstände wie Bestecke, Teller und notdürftig zusammengebaute Siebe werden zu sehen sein. Viele dieser Dinge waren nach dem Krieg einfach in den Splittergraben gekippt und zugeschüttet worden. Zudem können sich die Schüler an Laptops informieren und einiges andere mehr.

Zum neuen Schuljahr soll das Gebäude am Neudecker Weg beogen werden. | Foto: Schilp
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Die Ausstellungsstücke sind Eigentum des Museums Neukölln. „Es ist fantastisch, vor Ort solch ein Labor zu schaffen. Wir werden es gemeinsam immer weiter entwickeln“, so Museumsleiter Matthias Henkel. Es sei wichtig, die Erinnerungen zu bewahren und eine Bücke zu jungen Menschen zu schlagen – gerade weil es kaum noch Zeitzeugen gebe. Zwangsarbeit war unter der Nazi-Herrschaft schockierende Realität, sie hielt die Rüstungswirtschaft am Laufen. Etwa eine halbe Million Menschen hätten allein in Berlin Sklavenarbeit verrichten müssen, untergebracht in rund 3000 Lagern, so Henkel.

Schulleiter Thorsten Gruschke-Schäfer sagt, die Ausstellung solle auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Das sei eine Herausforderung, denn die Schule solle ein geschützter Ort für die Jugendlichen sein und bleiben. „Wie kriegen wir das hin? Da müssen wir Wege entwickeln.“

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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