Wechselvolle Geschichte
Zufluchtsort für Nonnen, Wirkungsstätte eines mutigen Seelsorgers
Das Gebäude der katholischen St.-Joseph-Kirche im Herzen Rudows ist mit seinen 53 Jahren relativ jung. Doch auf dem Grund und Boden hat sich schon im 19. Jahrhundert Geschichtsträchtiges abgespielt. Daran erinnert jedoch nur noch das benachbarte Haus, in dem die Caritas-Sozialstation ihren Sitz hat.
Heute tritt der Besucher an der Straße Alt-Rudow 46 durch einen freistehenden Torturm, überquert einen großen Hof und steht dann vor der Kirche, einem Dreieck aus Glas, Beton und Klinkerstein. Albert Brenninkmeyer hat das Gotteshaus entworfen, 1967 wurde es eingeweiht. Inzwischen ist es denkmalgeschützt.
Seine christliche Geschichte begann schon rund hundert Jahre früher: 1872 kaufte der schlesische Graf Friedrich von Praschma das benachbarte Grundstück Kaiser-Wilhelm-Straße 9 (heute Alt-Rudow 42–44). Er stellte es Nonnen aus dem Ursulinen-Orden zur Verfügung. Die betrieben in Kreuzberg eine Schule, ein Pensionat, Waisenheim und Lehrerinnenseminar. Außerdem gründeten sie dort 1857 das erste katholische Kloster in der Mark Brandenburg nach der Reformation. Im ländlichen Rudow sollten sich die Schwestern erholen können.
Vertrieben vom Reichskanzler
Ein Gebäude wurde errichtet, die besagte heutige Sozialstation. Doch bald diente es nicht mehr als Entspannungsort, sondern als ganzjähriges Zuhause für sechs Ursulinen. Denn das Kloster in Kreuzberg musste 1877 schließen. Grund war der „Kulturkampf“, den Reichskanzler Bismarck gegen die katholische Kirche und ihren Einfluss auf die Politik führte.
Wenige Jahre später kaufte eine Gönnerin das jetzige Kirchengrundstück, eine erste Kapelle wurde gebaut. Allerdings gab es Auflagen: Sie durfte weder an der Straße liegen noch einen Glockenturm haben. Das Haus entwickelte sich zu einer Begegnungs- und Zufluchtsstätte für katholische Priester und Ordensleute. Im Jahr 1888 war der Kulturkampf beendet, die Ursulinen kehrten in ihr Kloster zurück.
Die Gottesdienste in Alt-Rudow gingen jedoch weiter. Am 1. April 1931 gründete sich eine eigene Gemeinde, die zur Pfarrei von St. Eduard im Norden Neukölln gehörte. Der erste Seelsorger war August Froehlich. An ihn erinnert eine Tafel am Torturm.
Kein Hitlergruß von Pfarrer Froehlich
Anders als viele katholische Geistliche kümmerte er sich vorrangig um Jugendliche in Arbeiterregionen, vor allem aber bot er den Nationalsozialisten die Stirn. Er, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und Träger des Eisernen Kreuzes, lehnte Sammlungen für den faschistischen Staat ab und verweigerte den Hitler-Gruß.
Das war den örtlichen Nazis ein Dorn im Auge. Froehlich wurde nach Rathenow versetzt. Doch auch hier erregte er den Zorn der Hitlergetreuen. Er feierte sonntags eigene Gottesdienste mit polnischen Zwangsarbeitern, die nicht gemeinsam mit Deutschen beten durften. Als ihm Misshandlungen von polnischen Frauen bekannt wurden, brachte er sie zur Anzeige.
Der Pfarrer wurde verhaftet und in verschiedene Lager transportiert. Er starb 1942 unter den schlimmen Haftbedingungen im Konzentrationslager Dachau. August Froehlich wurde 51 Jahre alt.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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