Straßenschilder bewegen Seniorin
Mit ihrer Leidenschaft für die Fotografie will Ilse Engel die Hauptstadt besser kennenlernen
Einigen Besuchern des Wochenmarktes an der Prierosser Straße in Rudow dürfte sie noch bekannt sein. Bis 2017 hatte sie dort mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann einen Stand mit Kurzwaren und Knöpfen geführt. 37 Jahre lang. Ilse Engel war aber auch auf drei weiteren Wochenmärkten in Berlin unterwegs. Heute widmet sie ihre Zeit einem ganz besonderen Hobby.
Man sieht Ilse Engel ihr Alter keinen Moment an, das sie dennoch ganz uneitel preisgibt: 82 Jahre. Kein Wunder, berichtet sie doch von ihren Radtouren etwa zu Verwandten, die sie schon mal über weite Strecken führt, oder auf dem Mauerradweg, den sie bereits einmal geschafft hat, „aber immer nur in Abschnitten“. Und natürlich von ihrer Wandergruppe, die es nun schon seit Jahren gibt und die auch die Corona-Zeit und die daraus erwachsenen Einschränkungen überstanden hat. Bis zu 25 Personen treffen sich heute dazu regelmäßig.
Mit dem Ausbruch von Corona kam bei ihr ein neues Hobby ins Spiel, das die in Oberschöneweide geborene gelernte Schneiderin und zweifache Mutter mehr denn je auf Trab hält. Da die Restriktionen während der Pandemie den regelmäßigen Treff der Wanderfreunde zeitweise unmöglich machte, Ilse Engel sich gelangweilt haben dürfte und die Neuköllnerin ihre Stadt besser kennenlernen wollte, kam sie auf eine Idee, auf die man erstmal kommen muss: Um ein Ziel für Ausflüge zu finden, sucht sie sich Straßen auf ihrem Stadtplan heraus, zu denen sie dann läuft, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt. Dann wird das jeweilige Straßenschild fotografiert. Dass sie dabei immer wieder mit Menschen ins Gespräch kommt, ist ein schöner und gewollter Nebeneffekt.
Doch dies alles wäre alleine zu einfach. Denn nun überlegt sich die agile Rudowerin ein zum Straßennamen passendes Motiv und geht dafür wiederum auf Schnappschuss-Tour. Herausgekommen sind inzwischen geschätzt 1000 „Zwillingsfotos“. Dabei reichen die Motivpaare von eher herkömmlichen Doppelungen bis hin zu „um die Ecke Gedachtem“ oder auch Lustigem. So hat sie Fotos vom Erdbeer- und Uhrmacherweg gemacht, denen sie eine Schale reife Erdbeeren beziehungsweise die Weltzeituhr gegenüberstellte. „Es sind mir aber auch richtig lustige Doppelungen gelungen“, sagt sie.
So hat sie die Brückenstraße mit dem Foto einer Zahnbrücke zusammengebracht, wobei sie lächelnd offen lässt, ob es die eigene war. Oder die Fotografie vom Süßen Grund, die nun über dem Abbild einer Schachtel Konfekt thront. Dazu hat Engel übrigens in einen Süßwarenladen freundlich um Erlaubnis zum Fotografieren gebeten, ehe das Foto entstand.
Damit sie nichts vergisst und eine Straße nicht zweimal auf ihre Speicherkarte bannt, führt sie inzwischen genau Buch: „Ich habe allerdings keine Befürchtung, dass mir passende Motive in Berlin ausgehen werden“, ist sie sich sicher. Ist der Hauptzweck von Ilse Engels Aktivitäten, ihre nähere oder weitere Umgebung kennenzulernen, so ist die Veröffentlichung ihrer Bilder über den Status ihres WhatsApp-Kanals ein willkommener Zusatzeffekt – vor allem für Familienmitglieder und Wanderfreunde.
Wer nun also auch über die „verrückten“ Fotoideen aus Rudow das eine oder andere Mal schmunzeln will, gleichzeitig aber auch Bewegung und soziale Kontakte sucht, sollte vielleicht überlegen, sich Ilse Engels Wandertruppe anzuschließen. Interessenten erreichen sie unter ¿663 42 49, falls sie nicht wieder auf „Fotosafari“ in Berlin unterwegs ist.
Autor:Uwe Lemm aus Mahlsdorf |
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