Zusammenhalt ist stärker als Rassismus
Vietnamesischer Geschäftsinhaberin wurden mehrfach die Reifen zerstochen – Nachbarin sammelt Spenden für Ersatz
Urlaub hat sich Hanh Mura zuletzt vor sechs Jahren gegönnt. Damals reiste sie in die Heimat und besuchte ihre Familie. Ganze 14 Tage blieb sie. Seitdem hat die gebürtige Vietnamesin in ihrem Lichtenberger Mini-Markt durchgearbeitet – täglich mehr als zwölf Stunden. Was dabei herumkommt, reicht gerade so fürs Leben. Darüber klagt sie nicht. Etwas anderes bereitet ihr Kummer: wiederholte, offenbar gezielte Attacken auf ihr Eigentum.
Der Kombi hat seine besten Tage längst hinter sich. In welcher Farbe der Lack einmal glänzte, kann man nur ahnen. Überhaupt wirkt das Auto eher schrottreif. „Aber es fährt noch“, protestiert Hanh Mura. „Und ich brauche doch einen Lieferwagen.“ Mit einer Mischung aus Sorge und Stolz blickt die Geschäftsinhaberin auf ihren fahrbaren Untersatz, der gerade vor dem Verkaufslädchen in der Weitlingstraße parkt.
Warum sollte jemand an einem so alten Auto sein Mütchen kühlen? Das fragt sich Hanh Mura. Etwa drei Wochen ist es her, als sie eines Morgens einsteigen und zum Großhandel fahren wollte. Daraus wurde nichts. Keinen Meter hätte sie den Kombi bewegen können – weil drei Reifen völlig platt waren. Aufgeschlitzt mit einem Messer.
Es war nicht die erste Beschädigung an ihrem Auto, erzählt sie. „Vor ein paar Monaten wurde schon der Seitenspiegel abgetreten. Ein andermal hat jemand eine ätzende Flüssigkeit auf die Motorhaube geschüttet.“ Die Spuren sind noch deutlich sichtbar. Auch die Reifen waren schon öfter Zielscheibe. Drei Platte auf einmal – das sei allerdings neu, sagt Mura mit einem Anflug von Sarkasmus. Selbst an ihrem Laden habe es schon Schäden gegeben, wenn auch kleinere.
Jahrelange harte Arbeit
„Das macht mich so wütend“, schimpft Linda Zielinski. Die junge Lichtenbergerin ist nicht nur Stammkundin im kleinen Geschäft nahe der Lückstraße. Seit einiger Zeit verbindet sie mit der fröhlichen und aufgeschlossenen Vietnamesin auch eine Freundschaft. „Wir kennen uns schon viele Jahre, Hanh arbeitet härter als die meisten von uns und beklagt sich nie“, sagt Linda Zielinski. Sie ist überzeugt davon, dass rassistische Motive hinter den Anschlägen stecken. „Ich finde es schockierend, dass hier jemand so diskriminiert wird.“
Hanh Mura kam vor gut 20 Jahren nach Berlin. Sie heiratete einen Deutschen, von dem sie inzwischen getrennt lebt. „Hat nicht funktioniert“, erzählt sie. „Wahrscheinlich, weil ich so viel arbeite.“ Seit 2007 betreibt die Mutter einer inzwischen 25-jährigen Tochter ihren Mini-Markt im Weitlingkiez. Dort versorgt sie in erster Linie die Nachbarschaft mit den üblichen „Späti“-Waren: Getränke, Snacks, Zigaretten, Zeitschriften. Wochentags wird das Sortiment um frische Lebensmittel ergänzt. Wenn längere Zeit kein Kunde hereinschaut, setzt sie sich im Hinterstübchen an die Nähmaschine. Für die gelernte Näherin lag es nahe, den Verkauf mit einer Änderungsschneiderei zu verbinden.
Im Laden steht sie fast immer allein – sieben Tage die Woche und mit wenigen Ausnahmen von 8 bis 23 Uhr. „Meine Tochter hat sich oft beschwert, dass sie sogar zum Essen herkommen muss“, sagt Hanh mit einem Akzent, der nach all den Jahren noch stark ausgeprägt ist. Sie weiß das. Die Zeit, vernünftig Deutsch zu lernen, war einfach nie da. Das hält sie aber nicht davon ab, mit ihren Kunden ausgiebig zu plaudern. Die Nachbarn sind daran gewöhnt und verstehen sie.
Solidarität und neue Reifen
Als Linda Zielinski bei einem dieser fast allabendlichen Gespräche von den erneuten Anschlägen auf die Autoreifen erfuhr, stand für sie fest: Sich nur zu ärgern würde der Freundin nicht helfen. Stattdessen will sie nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – Hanh Mura unter die Arme greifen und beweisen, dass der Zusammenhalt im Kiez stärker ist, als Rassismus. So hat sie auf Facebook eine Spendenaktion gestartet, um Geld für einen Satz Reifen zu sammeln.
Zu ihrer Überraschung kamen relativ schnell 120 Euro zusammen. „Das war erst mal nur Geld von meinen Facebook-Freunden. Dabei kennen die meisten Hanh nicht einmal. Aber sie verstanden, warum ich helfen wollte.“ Eine etwas größere Summe wünscht sich die Lichtenbergerin dennoch. „Wenn es 500 Euro wären, könnte ich ihr ein ganz neues Set spendieren, vielleicht sogar Winter- und Sommerreifen.“
Hanh Mura hat unterdessen bei der Polizei Anzeige erstattet. Allzu große Chancen, dass man den oder die Täter findet, rechnet sie sich nicht aus. Aber sie ist Optimistin und hofft, dass wenigstens weitere Übergriffe ausbleiben. Für die Spendenidee ihrer Nachbarin ist die redselige Geschäftsfrau so dankbar, dass ihr ausnahmsweise mal fast die Worte fehlen.
Wer sich mit einer Spende beteiligen möchte, findet die Möglichkeit unter https://bwurl.de/1532 und per QR-Code unten.
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.