Bücherei auf zwei Beinen: Oliver Bajon und Jennifer Croft sind Medienboten
„Lesen bildet“, heißt es. Oder „Lesen ist wie Kino im Kopf“. Doch nicht jeder kann selbst in die Bibliothek kommen, sei es wegen Krankheit oder Alter. Hier helfen die Spandauer Medienboten weiter. Zwei von ihnen sind Oliver Bajon und Jennifer Croft.
Johanna Pioch ist schwach auf den Beinen und nicht mehr besonders beweglich. Ihr Zimmer im Pflegewohnheim im Johannesstift kann sie nur im Rollstuhl verlassen. „Es ist ein großes Glück für mich, dass es die Medienboten gibt“, sagt sie. „Ich brauche nur anzurufen, und die Bücher kommen zu mir.“
Heute, an einem Dienstag, ist es wieder soweit. Oliver Bajon, persönlicher Medienbote von Johanna Pioch, kommt mit dem Lesestoff vorbei. 18 Bücher, Hörspiele und Filme hat er im Gepäck. Ein Familienroman ist dabei und ein Sachbuch über Gotik, ebenso wie Ursula Krechels „Landgericht“ über das Leben eines jüdischen Richters im nationalsozialistischen Deutschland oder das „Möbelhaus“, das von einem arbeitslosen Journalisten erzählt, der als Verkäufer in einem Möbelhaus landet. Das Hörbuch „Der Name der Rose“ ist da leichtere Kost. Oliver Bajon liest der 68-Jährigen zu allen Titeln die Inhaltsangabe vor. Bei manchen Büchern musste er improvisieren, weil es bereits vergriffen war. Eine Weile sind die beiden in die Lektüre vertieft. Dann schreibt Oliver Bajon die Bestellliste für das nächste Mal auf. In vier Wochen wird er Johanna Pioch wieder besuchen. Jetzt aber muss er weiter zu seiner nächsten „Kundin“.
Jemandem eine Freude machen ist eine Herzensangelegenheit
Auch in Oliver Bajons Leben spielen Bücher eine besondere Rolle. „Ich war schon als Kind ein Bücherwurm“. Vor sieben Jahren entdeckte der 45-Jährige einen Aushang in der Stadtbibliothek Spandau über die Medienboten und entschloss sich einer zu werden. „Jemandem eine Freude zu machen, indem ich ihm Bücher bringe, das ist für mich eine Herzensangelegenheit“, sagt der Betriebswirt.
Oliver Bajon ist aber noch viel mehr als eine Bibliothek auf zwei Beinen. Die Besuche bei seinen zwei Kundinnen, die er momentan beliefert, sind auch für ihn eine Auszeit, die er nicht missen will. Sich über Bücher auszutauschen, den Erfahrungen seiner Kunden zu lauschen oder ihnen vorzulesen, das gefällt ihm.
81-Jährige liest am liebsten blutige Krimis
Jennifer Croft geht es ebenso. Die 60 Jahre alte Krankenschwester arbeitet seit fünf Jahren als Medienbotin der Stadtbibliothek. Dass der Job ehrenamtlich ist, macht ihr nichts aus. „Jeder sollte etwas für die Gesellschaft tun, etwas zurückgeben, nicht nur nehmen“, sagt sie. Auch Jennifer Croft besucht zwei Leserinnen einmal monatlich oder öfter mit einem offiziellen Medienboten-Ausweis. Sie bringt ihnen die zuvor bestellten Medien nach Hause, notiert die neuen Wünsche, und nimmt sich für jeden einzelnen Besuch viel Zeit. Eine ihre Kundinnen ist bereits 81 Jahre alt. „Sie werden es kaum glauben“, sagt Jennifer Croft, „aber die alte Dame liest bevorzugt Hardcore-Thriller, je blutrünstiger desto besser.“ Die Spandauerin lacht. „Anfangs dachte ich, sie bestellt die Krimis à la Karin Slaughter für ihren Mann.“ So kann man sich irren.
Den mobilen Bücherdienst der Stadtbibliothek Spandau gibt es schon seit den 1960er Jahren. Bibliothekarin Gudrun Lauber übernahm den Service vor drei Jahren von einer Kollegin und stellt die Medienpakete für die immobilen Leser zusammen. 15 Kunden lassen sich so regelmäßig von neun Medienboten mit Lesestoff versorgen.
Neue Medienboten werden immer gesucht: 902 79 55 21 oder g.lauber@ba-spandau.berlin.de. Oliver Bajon versorgt Johanna Pioch mit dem neuesten Lesestoff.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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