Berlinweit einzigartig
Spandau kann sich eine Jugendgeschichtswerkstatt leisten
Gerade in Spandau gibt es viele Vereinigungen, die sich mit Geschichte beschäftigen. Da wundert es auch nicht, dass der Bezirk sogar eine Einrichtung hat, die nirgendwo sonst in Berlin zu finden ist: die Jugendgeschichtswerkstatt.
Jugendliche erhalten dort Hilfe bei Referaten oder bei der Vorbereitung auf ihren Abschluss. Zudem veranstaltet die Jugendgeschichtswerkstatt Workshops mit Schulen, Vereine und Kirchengemeinden, organisiert Gedenkstättenfahrten, wie in das Vernichtungslager Auschwitz und Ausstellungen sowie besondere Aktionen an Gedenktagen und publiziert die Ergebnisse vieler Projekte in Büchern oder Broschüren. Die historische Bandbreite reicht vom Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart. Schwerpunkt sei die Zeit des Nationalsozialismus und dabei nicht zuletzt das Projekt Stolpersteine, sagt Leiter Uwe Hofschläger.
Die Jugendgeschichtswerkstatt wurde 1990 von Franz Paulus, dem damaligen Rektor des heutigen Heinrich-Böll-Gymnasiums, und dem Jugendamtsmitarbeiter Ulrich Steinke gegründet. Uwe Hofschläger machte ab 1995 zunächst ehrenamtlich mit. Zehn Jahre später wurde er hauptamtlich verantwortlich. Der heute 58-Jährige hat eine Verwaltungsausbildung und ein Studium der Politikwissenschaften absolviert und zunächst im Jugendamt gearbeitet. Seine Stelle sowie der Etat werden vom Bezirk finanziert. Für manche Vorhaben könnten außerdem Drittmittel eingeworben werden, erklärt Uwe Hofschläger. Personelle Unterstützung bekommt er von Honorarkräften oder Absolventinnen und Absolventen eines freiwilligen sozialen Jahres Kultur. Nach mehreren Umzügen ist der Sitz inzwischen in der Galenstraße 14.
Besonderes Selbstbewusstsein
Dass so eine Institution wie die Jugendgeschichtswerkstatt allein in Spandau existiert, führt auch ihr Leiter auf das große historische Interesse im Bezirk zurück. Das resultiere wahrscheinlich aus dem besonderen Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, das bis heute nachwirke, überlegt der in der Altstadt ausgewachsene Uwe Hofschläger.
Und wie sieht es mit dem Interesse der Jugendlichen aus? Verallgemeinert sei die Frage nicht so leicht zu beantworten, denn wer in die Jugendgeschichtswerkstatt komme oder bei ihren Projekten mitmache bringe bereits Interesse mit. Bei den Schul-Workshops gäbe es eher manche Teilnehmer, die zunächst nicht unbedingt großes Engagement zeigten. Was seine Arbeit erleichtere, sei aber zum einen eine andere Atmosphäre sowie ein anderer Ansatz.
Den besten Zugang zur Geschichte fänden Heranwachsende über Biografien, wie in dem Projekt Stolpersteine. Wenn sich die Jugendlichen mit den Lebensläufen und Schicksalen von Menschen beschäftigen, die während der Nazizeit verfolgt, ermordet oder in die Emigration getrieben wurden, entstehe eine Verbindung. Das gelte besonders, wenn es sich um damalige Jugendliche handelt. Weitere Erfolgserlebnisse gebe es, wenn bei den Recherchen heutige Nachkommen oder Verwandte ausfindig gemacht werden können. Wenn ein Stolperstein dann verlegt wird und das auch öffentliches Interesse findet, sorge das ebenfalls für ein Gefühl, eine wichtige Arbeit geleistet zu haben.
Auf diesem Weg lernen die Jugendlichen außerdem einiges jenseits historischer Bildung. Etwa, dass nur aufgeschrieben wird, was nachweisbar belegt ist. "Ungeklärte Fragen lassen wir in den Publikationen aus oder weisen darauf hin, wenn wir etwas nicht zweifelsfrei feststellen konnten". Das bedeutet gleichzeitig eine gute Schule gegen Fake News.
Wenn Teilnehmern eines Projekt irgendwelche anderen Fragen oder Probleme auf den Nägeln brennen, werde darauf ebenfalls eingegangen. Gerade aktuell sei das der Fall wegen des Krieges in der Ukraine.
Für dieses Jahr ist unter anderem das Verlegen weiterer Stolpersteine geplant. Zum Beispiel für die Familie Pieck. Die Schwestern Ilse und Lore Pieck sind auch Teil der Ausstellung „Charterflug in die Vergangenheit“, die noch bis 13. März auf der Zitadelle gezeigt wird.
In der Ausstellung werden Menschen porträtiert, die nach Verfolgung und Emigration Jahrzehnte später im Rahmen des Besuchsprogramms des Senats ihre alte Heimat besucht haben. Die Schau wurde von der Senatskanzlei und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand konzipiert. Die Jugendgeschichtswerkstatt ergänzte sie durch Biografien aus Spandau.
Nach ihrem Ende auf der Zitadelle würde er die Ausstellung gerne an anderer Stelle zeigen, sagt Uwe Hofschläger. Wer daran Interesse habe, soll sich bitte bei ihm melden.
Kontakt zur Jugendgeschichtswerkstatt unter Telefon 33 60 76 10, E-Mail: info@jgwspandau.de und im Internet auf www.jgwspandau.de.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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