Der "Herr der Krähen" - eine surreale Polit-Parabel in der JTW-Spandau
"Wer das Recht hat, hat die Macht!"
Falkenhagener Feld. Seit zwanzig Jahren inszeniert Carlos Manuel, bekannt für seine überbordend fantasievollen Bühnenkreationen, mit einem generationsübergreifenden, internationalen Ensemble an der JTW- Spandau.
Diesmal fiel die Wahl des Textes auf den 1000-Seiten-Diktatoren-Roman "Der Herr der Krähen", verfasst von einem der bedeutendsten afrikanischen Autoren der Gegenwart, dem Kenianer Ngugi wa Thiong`o.
Die surreale Polit-Parabel feiert am Freitag, den 28.08.20 um 19.00 Uhr Premiere, coronagerecht für 36 Theaterbegeisterte, nach allen "Abstandsregeln der Kunst".
Manuel bringt es auf den Punkt: "Es ist alles dabei: Oper, Sex, Monster, schlechte Politiker, Korruption, Liebe und Exorzismus - das Ganze grotesk und humorvoll in Szene gesetzt."
Das Universal-Epos erzählt die Geschichte eines afrikanischen Landesherrschers mit gottähnlichem Status, dessen Schicksal untrennbar mit dem mittellosen Einwanderer Kamiti und weiteren Weggefährten aus Regierungskreisen und einfachem Volk verwoben ist.
"Seine allmächtige Vortrefflichkeit" versucht, sich durch ein gigantisches Bauwerk namens "Marching to Heaven" ein Denkmal zu setzen. Er braucht für die Erfüllung seines Wunsches nur noch einen großzügigen Kreditgeber. Im Spannungsfeld von Machtmissbrauch, Korruption und autoritärer Dauerüberwachung, versucht die Bevölkerung, den Zustand der Repression abzustreifen. Es kommt zu Umsturz und Neuorganisation der Machtverhältnisse. "Baby D" wird aus der Taufe gehoben, eine Art Mehrparteiensystem, das sich im Gewand diktatorischer Mittelmäßigkeit jedoch als austauschbares, demokratieunfähiges Konstrukt erweist. Aufstieg und Fall der Herrscher verkommen zu einem nicht enden wollenden Teufelskreis. Eine menschenfreundliche Zukunft rückt in weite Ferne. Der jeweilige Machthaber wird gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben.
"Korruption ist überall." sagt Andrea, Religionslehrerin und langjähriges Ensemble-Mitglied. Sie spielt die Gattin des an Verstopfung leidenden Diktators, deren Ursache ihren nicht geweinten Tränen zugeschrieben wird. "Ich kann laut sein. Ich kann kraftvoll sein und kann Position beziehen!", sagt die Darstellerin stolz. Und weil der jeweils auserwählte Herrscher bestechlich ist, geht die ganze Chose wieder von vorne los!"
Was für die politische Situation Schwarzafrikas gilt, kann durchaus auf Machtverhältnisse anderer (europäischer) Ländern übertragen werden. "Korruption in Europa heißt Investment." meint Regisseur Manuel. "Es geht darum, den Status Quo zu halten, nicht darum, sich um Realpolitik zu kümmern. Die Leute leiden an einem System, das ihnen Geld und Macht als einzige Verheißung offeriert. Die Corona-Krise wird da keinen nennenswerten Kurswechsel bringen. Da bin ich kein Sozialromantiker."
Das Ensemble, das bereits seit Dezember letzten Jahres an der Textarbeit feilt, wurde durch die Corona-Unterbrechung im März und April ausgebremst. Ein erstes Wiedersehen nach der Zwangspause fand im Mai mit 26 Leuten auf der hauseigenen Wiese statt. Samson, der in der Rolle des Kamiti zum ersten Mal auf den Brettern der JTW steht, antwortet auf die Frage, was ihn zum
Schauspiel motiviert kurz und bündig: "Weil es belebt!" Er findet die Probenarbeit in der JTW auch nach dem Lockdown "cool und entstpannt".
Natürlich ist die Arbeit an der Inszenierung aufgrund der Beschränkungen eine andere geworden. Es gilt, sich nicht zu berühren und dennoch berührend zu sein. Die selbstkomponierte Musik einer Blaskapelle unter Leitung von Chandra Berns, musste aus pandemischen Gründen entfallen. Stattdessen wird "Der Herr der Krähen" von einem Mix aus Puccinis "La Boheme", Wagners "Lohengrin, angolanischem Techno und weiteren musikalischen Überraschungen umrahmt. Nicht zuletzt tragen die Tanz-Improvisationen, von Jenny Mezile choreografiert, dazu bei, dem Bühnengeschehen etwas Rauschhaftes zu verleihen. Mezile ist aus Abidjan (Elfenbeinküste) angereist und hat ein Quarantäne- und Test-Prozedere hinter sich. Sie inspiriert ihre Akteuren durch vorgegebene Bewegungsfolgen, die die Tänzer selbständig weiterentwickeln, ihre Körper sprechen lassen, ohne sich dabei zu nahe zu kommen.
Gegen Ende der Inszenierung treffen revoltierendes Volk und Regierungsvertreter auf einer Party zusammen. Die Bevölkerung tanzt zum verfremdeten Song "Heaven". Die Regierenden halten sich zunächst zurück. "Am Ende sind wir dann alle Volk." sagt Andre, der einen kontrollsüchtigen Außenminister mit überdimensioniertem Augenpaar spielt. "Normalerweise hätten wir uns bei den Proben schon alle in den Armen gelegen, aber diesmal ist es eben anders."
Dreizehn kleine Hocker, schnurgerade im Bühnenraum aufgereiht, wirken wie isolierte Inseln, auf denen die Akteure immer wieder stranden oder in Warteschleifen verharrend, auf bessere Zeiten hoffen. Wie Schachfiguren bewegen sie sich auf eingespurten Bahnen, sprechen im Chor, wechseln gehorsam den Platz.
Das Besetzungskonzept der JTW-Spandau ist das Altvertraute geblieben. Hier findet sich ein Querschnitt der Gesellschaft zusammen; Kunstschaffende und alle, die Lust haben, mitzumachen, ganz ohne Casting, Kosten und professionelle Masken. Sogar der RBB-Kultur hat seinen Reporter Tomas Fitzel beauftragt, die Theatermacher zu begleiten. In den Hörmitschnitten und filmischen Portraits erfährt man so einiges über die Darsteller, ihren biografischen Hintergrund, ihre Spielmotivation, ihre Zukunftspläne.
An zehn Aufführungsterminen geht "Der Herr der Krähen" über die Bühne. Am Samstag, den 19.09. 20 um 15.00 Uhr gibt es allerdings noch eine spannende Überraschung! Als Gast wird kein Geringerer, als der Autor selbst vor der abendlichen Aufführung aus den USA zugeschaltet und steht für eine lebendige Diskussion zur Verfügung. Seine eigene Biografie, klingt mindestens ebenso aufregend, wie sein bisher letzter Roman, in den viele eigene Lebenserfahrungen des 1938 geborenen Professors für Englisch und vergleichende Literaturwissenschaft eingeflossen sind.
Alle Vorstellungen sind kostenfrei. Um Anmeldung wird unter 030. 375 87 623 oder unter schreiner@jtw-spandau.de gebeten!!!
Premiere: 28. August 2020 um 19.00 Uhr
Weitere Vorstellungen: 30. und 31. August um 10.00 Uhr sowie am 5.,6.,12., 13., 18., 19., 20., September - freitags und samstags um 19.00 Uhr, sonntags um 16.00 Uhr.
Autor:Sabine Wreski aus Spandau |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.