Das Stadtgeschichtliche Archiv und sein Leiter
Sebastian Schuth ist der Hüter des Bezirksgedächtnisses
Der Arbeitsplatz von Sebastian Schuth befindet sich auf der Bastion König der Zitadelle, im Schatten des Juliusturms. Eine wahrlich standesgemäße Adresse für das Stadtgeschichtliche Archiv Spandau.
In diesem Ambiente befindet sich der Arbeitsplatz von Archivleiter Sebastian Schuth. Mit seinen gerade mal 31 Jahren ist er verantwortlich für einen riesigen Schatz, das Gedächtnis des heutigen Bezirks Spandau, den er nicht zuletzt mit den modernen Möglichkeiten von heute der Öffentlichkeit nutzbar machen möchte.
Das Archiv umfasst aktuell rund 3500 Regalmeter Material. Es besteht aus Akten, Dokumenten, Erinnerungsstücken, Zeitungen, Broschüren und vielen Büchern. Es gibt aber auch Foto- und Filmmaterial, Karten oder Tondokumente.
Das älteste vorhandene Originaldokument ist ein Schriftstück aus dem Jahr 1282. Es handelt sich um ein Notifikationsschreiben des Rats zu Spandau, "wieviel Ablass denjenigen zu bewilligen sei, die beim Aufbau des Heiligen-Geist-Hospitals eine Beisteuer geben". Das Stadtrechtsprivileg von 1232, das als Geburtsstunde von Spandau gilt, ist natürlich auch vorhanden, aber als Abschrift aus dem 15. Jahrhundert.
Es gibt nur wenige Fundstücke aus dieser Epoche. Ihre Zahl nimmt erst mit Beginn der Neuzeit zu. Sebastian Schuth hat zum Beispiel ein frühes Exemplar der Kämmerei-Rechnungen der Jahre 1516 bis 1519 herausgesucht. Die Schrift ist für Laien unleserlich, deshalb lässt sich auch nicht nachvollziehen, wie es um die Spandauer Finanzen zu jener Zeit bestellt war. Aber bereits das Blättern in einem inzwischen mehr als 500 Jahre alten Rechenschaftsbericht ist ein nicht alltäglicher Moment. „Umfassender wird der Bestand dann für das 19. und erst recht das 20. Jahrhundert“, erklärt der Archivar. Auch wenn es selbst da noch Lücken gebe.
Ein Kind der Wendezeit
Sebastian Schuth wurde 1990 in West-Staaken geboren, damals noch wenige Monate Gebiet der DDR. Am 3. Oktober des gleichen Jahres wurde es erneut Teil von Spandau und Sebastian Schuth damit ein Kind des Bezirks. Heute lebt er in Falkensee. Er hat Archivwesen an der Fachhochschule in Potsdam studiert. In dieser Zeit kam er das erste Mal auf die Zitadelle.
Als sein Vorgänger 2017 in den Ruhestand ging, bewarb er sich um die Nachfolge. Spandau sei ein Bezirk mit Geschichtsbewusstsein, sagt der 31-Jährige. Das komme auch seiner Arbeit zugute. Es gebe inzwischen eine zweite feste Stelle, dazu Honorarkräfte und Praktikanten.
Das historische Interesse zeigt sich auch an manchen Vermächtnissen, die das Archiv erhält. Vor einigen Tagen seien acht Kisten abgegeben worden, deren Inhalt jetzt begutachtet werde, erzählt der Leiter. Darunter auch Einrichtungsgegenstände oder Accessoires. Die gingen an das Stadtgeschichtliche Museum. Schrift- oder Bilddokumente bleiben in seinem Bereich. In dieser Richtung sei so ziemlich alles interessant. Nur weniges, etwa dann, wenn es bereits mehrfach vorhanden sei, finde keinen Platz.
Nicht alles, was Spandau betrifft, findet sich im Spandauer Archiv. Manches, was über den Bezirk hinaus von historischer Bedeutung eingeschätzt wird, ist in Landes- und Bundesarchiven gelagert. Auch Dokumente wie die BVV-Protokolle befinden sich nicht auf der Zitadelle, sondern im Berliner Landesarchiv. Sie werden dort mit Verweis auf die seit 1920 bestehende Einheitsgemeinde verwahrt.
Was dagegen in Spandau bleibt, gibt oft tiefere Einblicke, als das Rekapitulieren einstiger Anträge und Anfragen. Etwa die vielen Fotos und Filme zu besonderen Festivitäten, wie das 750-jährige Stadtjubiläum 1982 oder die erste Fahrt der U-Bahnlinie 7 zum Rathaus zwei Jahre später. Auch auf den ersten Blick profane Fundstücke. Und sei es das Album zur Spandauer Briefmarkenausstellung im Jahr 1976.
Es finden sich auch zusammenhängende Nachlässe in den Regalen. Einer erregt schon aus persönlichen Gründen Aufmerksamkeit. In vielen Kisten verpackt stehen hier Aufzeichnungen von und über den Volksblatt-Gründer Erich Lezinsky (1886-1952) und vor allem seiner Schwiegertochter Ingrid Below-Lezinsky (1930-2005). Sie befinden sich im Zeitungsarchiv. Vis-à-vis in langen Reihen lagert der fast vollständige Bestand das Spandauer Volksblatts von der ersten Ausgabe am 5. März 1946 bis heute. Auch seine Vorläufer sowie andere Zeitungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind dort vorhanden.
Eine aktuelle Volksblatt-Ausgabe liegt auf dem Tisch im Lesesaal. Sebastian Schuth wird auch sie archivieren. Aus Gegenwart wird ein Zeugnis für die Nachwelt. Das sei eine Faszination, die er für seinen Beruf empfinde, sagt der Archivleiter. Wer in alten Beständen blättere, erfahre viel über das Leben von einst, die Epoche und ihre Herausforderungen. Gerade Zeitungen lieferten dafür oft ein gutes Spiegelbild.
Was zu der Frage führt, wer sich vor allem für die überlieferten, gesammelten, übergebenen Fundstücke interessiert? „Der Personenkreis sei vielfältig“, erklärt Sebastian Schuth. Natürlich Menschen, die aus beruflichen Gründen Nachforschungen anstellen, wie Historiker, Buchautoren oder Journalisten, oder Heimat- und Geschichtsvereine sowie nicht zuletzt Privatpersonen, Menschen auf den Spuren ihrer Familienhistorie oder bestimmten Begebenheiten.
Den Zugang zum Spandauer Gedächtnis noch leichter zu ermöglichen, ist Sebastian Schuths oberstes Ziel. „Die Bestände werden inzwischen digitalisiert. Das geht gut voran, bedeutet aber noch immer eine Arbeit von vielen Jahren“, erklärt er. Auch die Filmrollen und Tondokumente sollen auf diese Weise zukunftsfest gemacht werden.
Das Archiv des Stadtgeschichtlichen Museums in der Zitadelle Spandau kann Di/Do 9-16, Mi 9-17, Fr 9-14 Uhr nach Anmeldung per E-Mail an archiv@zitadelle-spandau.de oder unter Telefon 354 94 42 87 besucht werden.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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