"Kümmern zahlt sich aus"
Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer zieht Halbzeitbilanz
Zehn Kieztouren, 39 Besuche und 70 Anliegen: Das ist die Halbzeitbilanz von Helin Evrim Sommer. Seit zwei Jahren sitzt sie für die Partei Die Linke im Bundestag und vertritt dort Spandau und Charlottenburg Nord.
Wenn Politiker Bilanz ziehen, stehen sie entweder kurz vor dem Rücktritt oder sie sind noch nicht lange dabei. Auf Helin Evrim Sommer trifft beides nicht zu. Die 48-Jährige sitzt zwar erst seit Oktober 2017 für die Linken im Bundestag. Davor aber war sie schon 17 Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus. Damals, 1999, ist sie mit 26 Jahren die jüngste Frau im Parlament und eine der ganz wenigen Abgeordneten mit einer Migrationsbiografie.
Wer sie fragt, erfährt, nach Spandau kam die Tochter einer kurdisch-alevitischen Familie 1980 nicht freiwillig. „Meine Familie musste in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Türkei fliehen, weil mein Vater als linker Gewerkschaftler, Lehrer und Kurde auf der Todelsliste der türkischen Militärjunta stand“, erzählt sie. Ziel der Flucht ist damals West-Berlin, in Spandau wohnt die Tante. Helin Evrim Sommer lernt Deutsch, geht zur Schule, studiert Geschichts- und Geschlechterwissenschaften und arbeitet in Spandau eine Zeit lang als staatlich geprüfte Übersetzerin in der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an der Streitstraße. Später steigt sie in die Politik ein und wird ins Abgeordnetenhaus gewählt. Über die Landesliste der Linkspartei schafft sie es dann 2017 für den Wahlkreis 78 in den Bundestag. Dort ist sie entwicklungspolitische Sprecherin und eine der parlamentarischen Geschäftsführerinnen der Fraktion, stellvertretendes Mitglied des Verteidigungsausschusses und Mitglied in der parlamentarischen Versammlung OSZE.
Den Spandauern Gehör verschaffen
Sommers Terminkalender füllt also viel Bundespolitik. Trotzdem ist sie so oft es geht in Spandau. In ihrem Bürgerbüro in der Reisstraße kommt sie mit Spandauern ins Gespräch, hört, wo der Schuh drückt, kümmert sich. Das unterscheidet sie nicht groß von anderen Bundestagsabgeordneten, die in ihren Wahlkreisen unterwegs sind. „Aber ich bin geräuschloser“, sagt Sommer. „Ich verspreche nichts, das ich nicht halten kann.“ Mit der Bilanz ihrer ersten zwei Arbeitsjahre in Spandau ist sie zufrieden. Sie war auf zehn Kieztouren durch alle neun Ortsteile, hat 39 Einrichtungen, Vereine und Initiativen besucht und aus den Gesprächen 70 Anliegen mitgenommen. Daraus wurden über die Linksfraktion 16 große und fünf Kleine Anfragen sowie acht Anträge in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), 14 schriftliche und zwei Kleine Anfragen im Bundestag.
„Kümmern zahlt sich aus“, sagt Sommer. „So ist es beispielsweise auch mein Verdienst, dass die Siemensstadt jetzt endlich eine Kinderärztin hat.“ Weitere Beispiele: Der Spielplatz Ecke Jugendweg und Rohrdamm bekam eine Sitzgruppe und das Einkaufszentrum Siemensstadt eine öffentliche Toilette. Auch zwei Beschäftigte, die Ledvance entlassen hatte, wurden wieder eingestellt. Die beiden standen eines Tages hilfesuchend im Bürgerbüro. Die Bundestagsabgeordnete und ihr Team stellten den Kontakt zu Anwälten her, waren bei den Verhandlungen vor Gericht dabei. „Ich kann nicht alle Probleme lösen, aber ich kann den Spandauern Gehör verschaffen, Türen zu Behörden und politischen Entscheidungsträgern öffnen.“
"Reden führt fast immer zu Kompromissen"
Was die Siemensstädter derzeit vor allem beschäftigt, sind bezahlbares Wohnen – Stichwort Mietendeckel, die Gesundheitsversorgung und der Siemens-Innovationscampus. „Hier fragen die Bürger zu Recht, wie sie sich einmischen können, und was aus der alten Siemensstadt wird“, sagt Sommer. Sie initiierte darum eine Planungswerkstatt, die seit mittlerweile sieben Monaten selbstständig und überparteilich arbeitet. Wo sie nicht direkt intervenieren kann, organisiert die Bundestagsabgeordnete Ortstermine, wie etwa mit dem Landesruderverband. Ein Anwohner hatte sich über den Lärm der Trainingsstätte am Jungfernheideweg beschwert. „Miteinander zu reden, führt fast immer zu Kompromissen, mit denen alle leben können", sagt Sommer. "Das ist meine Erfahrung.“ Seit August 2018 bietet ihr Bürgerbüro auch eine kostenlose Sozialberatung rund um Hartz IV an. In 28 Fällen half die Beratung schon erfolgreich weiter.
Manchmal passiert im Bürgerbüro aber auch so etwas. „Einmal rief ein Spandauer an und wollte bei uns seinen Personalausweis verlängern.“ Darüber schmunzelt Helin Evrim Sommer heute noch. Aufgelegt hat trotzdem keiner. Der Mann bekam am Telefon Schritt für Schritt erklärt, wie er den Antrag online beim Bürgeramt ausfüllt. Auch das sei Bürgernähe, sagt Sommer.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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