Wo Jugendliche gefördert werden: Verein Mitternachtssport mit europäischem Sport-Preis ausgezeichnet
In einer neuen Serie stellt das Spandauer Volksblatt Lieblingsorte der Spandauer vor. Den Anfang macht das Jugendcafé des Vereins Mitternachtssport an der Jüdenstraße 46.
Ismail Öner hat es nicht weit. Der 39-jährige Sozialpädagoge wohnt mit Ehefrau und zwei Kindern in der Altstadt. Sein Lieblingsplatz, der gleichzeitig auch sein Arbeitsplatz ist, ist noch relativ neu. Erst im vergangenen Jahr wurde der 100 Quadratmeter große Treffpunkt eröffnet. „Damit hatten wir endlich ein Dach über dem Kopf“, erinnert sich Öner.
Dieses Dach ist seit dem 22. November etwas ganz besonderes. Die Kommission der Europäischen Union hat den Mitternachtssport mit dem „BeInclusive EU Sport Award“ ausgezeichnet. Öner nahm den Preis vom EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, Tibor Navracsics, und vom estländischen Sport- und Kulturminister, Indrek Saar, in Brüssel entgegen. Der Preis würdigt Initiativen, die Sport zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts einsetzen.
Der begann für den Mitternachtssport vor zehn Jahren klein und spontan. Die Polizei hatte Teile des Gebiets Heerstraße Nord zum kriminalitätsbelasteten Ort (KBO) erklärt, weil dort immer wieder Jugendliche auffielen, die in ihrer abendlichen Freizeit nicht immer sinnvolle Dinge anstellten. Öner wollte das Kürzel KBO inhaltlich drehen: Kein böser Ort. Er sorgte dafür, dass die Sporthalle der Carlo-Schmid-Oberschule an den Wochenenden abends geöffnet wurde. Die jungen Leute konnten ohne Verpflichtung und ohne Eintrittsgelder kicken.
Öner wusste von Anfang an: „Es reicht nicht, den Jugendlichen einen Ball vor die Füße zu werfen.“ Die Pädagogik musste dazu kommen. Öner und seine Mitstreiter waren da, wenn die jungen Leute über Probleme im Elternhaus, in der Schule oder in der Ausbildung sprechen wollten. Weitere Sporthallen im Bezirk kamen dazu, aber auch eine weitere Idee: Mit den "großen Brüdern" wurden Menschen ins Boot geholt, die es vor allem über den Sport geschafft hatten, zu Ansehen und Wohlstand zu kommen. Jérôme Boateng gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Vereins. Heute gibt es rund 15 große Brüder, von Gonzalo Castro von Borossia Dortmund bis Manuel Schmiedebach von Hannover 96. Neu dabei ist der Herthaner Jordan Torunarigha, wie Öner gebürtiger Haselhorster.
Während der Mitternachtssport bisher von bezirklicher Seite keinen Cent sah, erkannten andere längst dessen Potential. Der Mitternachtssport ist über Spandau hinaus in Neukölln aktiv, aber mittlerweile auch in Wuppertal. Seit dem vergangenen Jahr gibt es auch die Vereinsadresse an der Jüdenstraße 46. Sie ist täglich außer sonntags von 14 bis 20 Uhr geöffnet – und seit langer Zeit das erste Jugendzentrum, das wieder in der Altstadt geöffnet hat. Dieser Ort hat nicht nur mit Sport zu tun, auch wenn die großen Brüder nach Bundesligaspielen im Olympiastadion gerne mal hier vorbeischauen. Beim Gespräch mit dem Spandauer Volksblatt hält Öner mehrere Bewerbungsmappen von Jugendlichen in den Händen, die er mit seinen Schützlingen zusammen erarbeitet hat. Schließlich sind es manchmal pro Tag bis zu 100 junge Leute, die dort auch Hilfe im Alltag bekommen – manchmal bis zum erfolgreichen Abschluss eines Ausbildungsvertrages.
Die 10 000 Euro Preisgeld aus Brüssel gehen eventuell in eine Sonntagsöffnung, vielleicht aber auch in eine erweiterte Infrastruktur, über die Öner gerade mit dem Bezirksamt spricht. Schon jetzt aber ist die Jüdenstraße ein besonderer Ort, der weit über Spandau hinaus leuchtet. Fotos zeugen von den überregionalen Auszeichnungen, die der Mitternachtssport schon vor dem europäischen Preis erhielt: 2010 kürte ihn die Bundesliga-Stiftung zum besten Jugendprojekt Berlins, 2013 wurde Öner von der Bundesregierung zum Botschafter für Toleranz und Demokratie ernannt. Im selben Jahr gab es den Integrationsbambi. 2014 folgte der Integrationspreis des Deutschen Fußballbundes, ein Jahr später der Laureus-Award, der sogenannte Oskar des Sports in der Kategorie „Soziales Projekt“. Da wundert es nicht, dass der Verein aus der Jüdenstraße in Brüssel gegen aussichtsreiche Konkurrenten bestand, wie dem Lieblingsprojekt des englischen Prinzen Harry: Der fördert die Arbeit mit Obdachlosen in London, die ans Marathonlaufen heran- und in ein geregeltes Leben hineingeführt werden.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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