Spiegelbild deutscher Geschichte
Die JVA Tegel wurde 125 Jahre alt: statt einer Feier gab es eine Gedenkfeier zum Jubiläum

125 Jahre wechselvolle Geschichte. Die Justizvollzugsanstalt Tegel.  | Foto:  Thomas Frey
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Sie ist weder das älteste Gefängnis noch die größte Haftanstalt der Stadt, dafür aber wohl eine der bundesweit bekanntesten Berliner Immobilien. Überspitzt gesagt: Wer irgendwo in der Bundesrepublik mit dem Namen Tegel konfrontiert wird, denkt an den ehemaligen Flughafen und wohl auch an die Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel.

Am 2. Oktober 1898 wurden die ersten Insassen in der neuen Strafanstalt aufgenommen. 125 Jahre später, am 6. Oktober 2023, wurde dieses Datums auf einer Jubiläumsveranstaltung gedacht. Eine Feier, darauf legte der Leiter der Justizvollzugsanstalt, Martin Riemer Wert, gab es nicht.

Was gäbe es aus diesem Anlass zu feiern? Vielleicht noch am ehesten die Entwicklung zu einem humaneren Strafvollzug in den zurückliegenden gut 50 Jahren. Doch davor war das Gefängnis ein Ort der Willkür, an dem Menschen einsaßen, die dort nicht hingehörten. Es ist eben ein Spiegelbild der deutschen Geschichte – auch ihrer schrecklichsten Jahre. Daran wurde beim Jubiläumstreffen erinnert und ist auch in einem opulenten Begleitbuch mit dem Titel „Gefängnis Tegel - Von der königlichen Strafanstalt zur Justizvollzugsanstalt 1898-2023“ nachzulesen.

Als die Kriminalität rasch anstieg

Der Gefängnisbau entstand am Ende des 19. Jahrhunderts als Berlin rasant wuchs, die Bevölkerungszahl rasch anstieg und mit ihr zugleich die Kriminalitätsrate. Es gab mehr Verurteilungen und mehr Zuchthausstrafen und es bedurfte einer weiteren Haftanstalt. Für knapp 2000 männliche Insassen waren die Gebäude in Tegel damals konzipiert. Unter ihnen erlangte einer schon in der ersten Dekade eine später sogar literarische Berühmtheit: Schuster Wilhelm Voigt, besser bekannt als „Hauptmann von Köpenick“. Nur als Romanfigur wurde Franz Biberkopf im 1929 erschienenen Buch „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin bekannt. Der entlassene Häftling aus Tegel will ein anständiges Leben beginnen, was ihm aber nicht gelingt.

Ganz real war wiederum Carl von Ossietzky. Der Herausgeber der Zeitschrift „Weltbühne“ musste im Mai 1932 eine mehrmonatige Haftstrafe wegen „Spionage“ in Tegel antreten. Grund war ein Artikel in der Weltbühne, der sich mit der verbotenen Aufrüstung der Reichswehr beschäftigt hatte. Ossietzkys Verurteilung, noch zu Zeiten der Weimarer Republik, gab bereits ein Vorzeichen für die Willkürjustiz ab 1933. In der Nazizeit wurde er in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert und gefoltert und starb an den Folgen im Jahr 1938. Das Schicksal des Publizisten griff Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) bei ihrer Ansprache in Tegel auf und zog auch daraus Lehren für die Gegenwart. Die Demokratie müsse mit allen Mitteln gegen Extremisten geschützt und verteidigt werden, erklärte die Senatorin.

Eine Bemerkung, die an die dunkelste Zeit auch von Tegel zwischen 1933 und 1945 erinnerte, als viele politische Gefangene und Widerstandskämpfer hier eingesperrt waren wie Helmut James Graf von Moltke, der Kopf des sogenannten „Kreisauer Kreises“, Dompropst Bernhard Lichtenberg, der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer oder der Gefängnispfarrer Harald Poelchau.

Zwischen April und August 1945 war das Gefängnis leer. Die französische Besatzungs- und später Schutzmacht übergab dann den Gebäudekomplex der Berliner Verwaltung, die es wieder als Haftanstalt eröffnet. Ob das nicht vielleicht die falsche Entscheidung war? Dies fragt sich Martin Riemer bis heute. Hätte das Gefängnis nicht wie die Haftanstalten im Ostteil Berlins aufgegeben werden müssen, fragt Martin Riemer. Aus Hohenschönhausen wurde ein Gedenkort, in Rummelsburg entstand ein Wohnquartier.

In der Justizvollzugsanstalt Tegel, wie sie seit 1977 heißt, sind aktuell etwa 700 Männer im Vollzug der Strafhaft oder der Sicherungsverwahrung untergebracht. Mehr als 600 Menschen arbeiten dort in unterschiedlichsten Funktionen. Der gesamte Komplex ähnelt einem eigenen Stadtquartier. Und er ist an vielen Stellen sanierungsbedürftig. Geplant ist derzeit ein Neubau der Teilanstalt I mit 216 Haftplätzen, außerdem weitere Investitionen in den Teilanstalten sowie der Sozialtherapeutischen Anstalt. „Mit mir wird es keine Abstriche bei den Baumaßnahmen geben“, bekräftigte die Justizsenatorin.

Martin Riemer hatte sich aus Anlass des Geburtstags auch Gedanken über die Weiterentwicklung des Strafvollzugs gemacht. Auch im Gefängnis werde die Digitalisierung eine immer größere Rolle spielen. Hafterleichterungen könnten künftig nicht mehr nur im Umfang des genehmigten Freigangs erteilt werden, sondern vielleicht noch mehr im Zugang zum Internet. Was dafür aber auch technisch zu bewerkstelligen sei, wäre ebenfalls eine noch nicht gelöste Frage.

Für und durch die Insassen gibt es in Tegel auch einige Aktivitäten, die teilweise nach außen ausstrahlen, wie beispielsweise die Gefängniszeitung „Lichtblick“, das Gefängnistheater aufBruch, das regelmäßig auch Aufführungen für Besucher außerhalb der Haftanstalt anbietet, oder die Band „Freitöne“. Sie war Teil des Unterhaltungsprogramms auf der Jubilumsveranstaltung zu 125 Jahre Gefängnis Tegel. Unter anderem spielte die Band eine Interpretation des Beatles-Klassikers „Yesterday“. Ein Titel, der auf vieles an diesem Tag passte. Ein Blick ins Gestern dieses Ortes und auf das, was sich seither geändert hat.

125 Jahre wechselvolle Geschichte. Die Justizvollzugsanstalt Tegel.  | Foto:  Thomas Frey
Szene aus der Freiluftinszenierung "Arturo Ui" des Gefängnistheaters aufBruch.   | Foto: aufBruch
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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