Stadtspaziergang
Am 13. Juli geht's zu Borsig nach Tegel

Foto: Bernd S. Meyer
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Zu meiner 223. monatlichen Tour lade ich nach Tegel ein. Das Borsig-Areal in Tegel betritt man am historischen Werkseingang, erbaut 1898 im Stile norddeutscher Backsteingotik. 1924 wird der Borsig-Turm eröffnet. Vorort Tegel war damals schon vier Jahre eingemeindet, das Werk lag nun im neuen Bezirk Reinickendorf.

So feierte man den Turm als Groß-Berlins erstes Hochhaus und amerikanischstes Bauwerk der damals in ihrer neuen Ausdehnung drittgrößten Stadt der Welt nach New York und London. 36 Meter hoch ist die Stahlbetonkonstruktion, und Architekt Eugen Schmohl lässt damals die Fassaden in denselben traditionellen Backstein verkleiden, in dem Jahrzehnte vorher auch die meisten Borsig-Produktionshallen entstanden sind. Schmohl hatte danach noch das Ullsteinhaus in Tempelhof mit dortigem 77 Meter hohen Turm entworfen.

Foto: Bernd S. Meyer

In Tegel entstand ein Verwaltungsbau mit Büroetagen und zugleich ein Wasserturm. Auch zum 100. Turm-Geburtstag ragt der Bau unverändert stolz über weitläufiges Fabrikgelände der einstmals zweitgrößten Lokomotivbauanstalt der Welt heraus, gilt noch immer mit den scharfkantig versetzten oberen Geschossen als Stilikone des Architektur-Expressionismus und der Moderne. Natürlich steht er unter Denkmalsschutz, ebenso wie die älteren Gebäude, die mit dem Umzug aus der Innenstadt Berlins entstanden, und jene, die in den 1930er-Jahren dazukamen.

Foto: Bernd S. Meyer

Der älteste denkmalsgeschützte Industriebau findet sich jedoch an der Tegeler-See-Seite: die Germaniahalle von 1872. Sie stammt aus der Zeit der damaligen Märkisch-Schlesischen Maschinenbau- und Hütten-AG, vormals F. A. Egells, die dann auch zum Kruppschen Kanonenimperium gehörte. Dort wurden schon während des Kaiserreichs Antriebsmaschinen und Bauteile hergestellt, die in der Kieler Werft in die Stahlrümpfe von Kriegsschiffen und U-Booten eingebaut wurden. Aber auch die Lokomotiven waren im Ersten und Zweiten Weltkrieg unverzichtbar. Borsig wurde nach den Wirtschaftsplänen des NS-Staates wieder für die Aufrüstung gebraucht. Noch nach 1945 fand man allerorten verblassende Aufschriften wie „Räder müssen rollen für den Sieg!“. Als im Februar 1945 bei einem der letzten großen Luftangriffe der Westalliierten auch das Borsigwerk zerstört wurde, machte sich, bald nach der Einnahme Berlins, die Rote Armee daran, alles Brauchbare für den Wiederaufbau ihres eigenen Landes auszuräumen und abzutransportieren, unterstützt von Borsigianern, die so ihr erstes Brot im Frieden verdienten.

Foto: Bernd S. Meyer

Tegel lag ab August 1945 nach alliierten Beschlüssen im französischen Sektor, somit auch die ausgeräumten Borsig-Ruinen. Ein anderer Rüstungsbetrieb – das Bergmann-Werk, größtenteils in Wilhelmsruh gelegen, kam unter sowjetische Treuhandverwaltung, beschäftigte bald viele einstige Mitarbeiter von Borsig. Ab 1949 VEB wurde das Bergmann-Borsig-Werk größter Kraftwerksausrüster des Landes. Die very british klingende Marke bebo sher war Marktführer bei elektrischen Rasierapparaten, auch der Stadtgänger nutzte solch ein Gerät.

Foto: Bernd S. Meyer

In Tegel blieb die Stammmarke Borsig erhalten, auch wenn Rechtsformen und Eigentümer wechselten, Borsig-Produkte anderswoher kommen. Geht man durch das einstige Werksgelände, kann man nur staunen, wie Altes und Neues verbunden sind – eine Entdeckungsreise. Beim Borsighafen erinnert der Eisenhammerweg an Industrievorgeschichte, an Franz Anton Egells (1788–1854), den ersten „Feuerland-Unternehmer“ vom Oranienburger Tor, der dort ab 1836 den „Hammer“ als Eisengießerei betrieb, die mit der späteren Germaniahalle als Beginn der Industrialisierung Tegels gilt. Egellsstraße ist schon vor 1898 so benannt, da der junge August Borsig, gelernter Zimmermann, in Egells Berliner Maschinenbaufirma seine Technikerkarriere begonnen hatte.

Foto: Bernd S. Meyer

Aber zurück zum Borsig-Firmentor. Es erinnert vor allem an jene Zeit, da Borsig zur größten Lokomotivschmiede des Kontinents wurde, als Schienennetze weltweit wuchsen, Wagons von kohlebefeuerten Loks gezogen und die Eisenbahn-Pünktlichkeit sprichwörtlich gewesen ist.

Foto: Bernd S. Meyer

Gleich vorn, in den Tor-Seiten-Nischen des 1898 im Zuge der Berliner Industrie-Randwanderung eröffneten Werks wachen zwei Figuren, die aussehen, als ob sie persönlich für die alten Tugenden bürgen würden: stark, umsichtig und mit dem Männerstolz des Handwerks. Links der Schmied, rechts der Eisengießer in der Berufsstracht des 16. Jahrhunderts. Beide aber nicht aus Eisen, sondern im Zinkhohlguss. Sie waren im Jahre 1853 entstanden und im März 1854 zum Fest der 500. Borsig-Lokomotive im ersten „Feuerland“-Firmengelände vor dem Oranienburger Tor aufgestellt – zusammen mit einer Büste August Borsigs – vor 170 Jahren. Der Gründer verstarb bald darauf am 6. Juli desselben Jahres, kurz nach seinem 50. Geburtstag. 1858 wechselten die ortsfest verankerten Plastiken an die Chausseestraße. Ende der 1840er-Jahre hatte A. Borsig schon eine zweite große Betriebsanlage im Vorort Moabit errichten lassen. Ab 1867 standen die 1,92 Meter großen Männer, die längst als Vorbild für die hart arbeitenden Beschäftigten galten, als „Helden der Arbeit“ für 30 Jahre auf den Pfeilern des Moabiter Werkeingangs, bis Borsigs Enkel im Jahre 1898 alles an den Tegeler See verlegten.

Die Zinkfiguren zogen mit, begleiteten dann alle folgenden Auf- und Abschwünge des Werkes. 1990 sind sie aufwendig restauriert, folgerichtig ins Reinickendorfer Rathaus, dann ins bezirkliche Museum umgezogen. Die am Tor sind nun Galvano-Repliken, farbig beschichtet. Auch das einst in Moabit ansässige Heimatmuseum erhielt Repliken.

Und doch ist am Standort die Lokomotivgeschichte des Werkes noch nicht zu Ende. Gleich links hinter dem Tor war der Standort der kombinierten Gleis- und Fahrzeugwaage: Amtl. Nr. 3115 Brückenlänge 10 m Tragfähigkeit 100 t Wägefähigkeit 80 t Datum der letzten Eichung: 26. 7. 88. Auf dieser Fläche steht heute ein Objekt des Metallbildhauers und Kunstschmieds Achim Kühn, geboren 1942, das er in seinem Atelier in Bohnsdorf im Auftrag der Deutschen Reichsbahn 1989 für den heutigen Ostbahnhof gebaut hatte: die „Lok2000“. Sie musste nach elf Jahren von ihrem Standort in der Empfangshalle weichen, da sie dort nicht mehr in das neue Konzept gepasst habe. Erst eingelagert, schließlich in den Oberschöneweider Reinbeckhallen der einstigen AEG museal gezeigt, bis die Tegeler Geschichtsoffensive sie „entdeckte“ und es mithilfe des Bezirks schaffte, sie im Jahre 2006 am einstigen Waage-Platz aufzustellen. Sie wiegt nur neun Tonnen, ist 3,60 Meter hoch und 5,50 Meter lang. Für Achim Kühn war es damals eine ganz neue Erfahrung, alte Teile mit Edelstahl zu kombinieren. Räder, Federn und Schienen bekam er vom RAW im thüringischen Meiningen, das Dampfloks repariert. Womöglich war darunter auch rollendes Material von Borsig.

Der Rundgang beginnt am Sonnabend, 13. Juli, um 11 Uhr. Treffpunkt ist Am Borsigturm 1, zu erreichen mit der Linie U6 bis U-Bahnhof Borsigwerke. Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 20. Juli, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.

Die Führung am 13. Juli ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 8. Juli, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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