Vom Gestern ins Morgen
Die etwas andere Ausstellung zu 700 Jahre Tegel
Jubiläumsausstellungen werden häufig nach einem ähnlichen Schema konzipiert. Sie sind gerne als historischer Abriss vom Beginn bis zum jeweiligen Jubiläumsjahr angelegt. Eine mehr oder weniger lineare Darstellung, unterfüttert durch Fundstücke, Fotos und Dokumente.
Solche Exponate gibt es natürlich auch bei der Jubiläumsschau zu 700 Jahre Tegel, die am 2. Juni in der GalerieEtage des Bezirksmuseums in Alt-Hermsdorf eröffnet wurde. Aber sie sind anders gruppiert und die Tegel-Geschichte wird auch anders nahe gebracht. Nicht als ein Entlanghangeln an den verschiedenen Epochen mit dem heutigen Finale, sondern eher umgekehrt mit dem Blick von heute zurück ins Gestern und nach vorne ins Morgen. Und das anhand der drei Stichworte "Stadt. Wald. See", so der Titel der Ausstellung.
Der Blick in die Vergangenheit beschränkt sich weitgehend auf die zurückliegenden etwa 150 Jahre, erklärte Dr. Cornelia Gerner bei der Eröffnung. Sie hat bis Ende April mehr als 20 Jahre den Fachbereich Kunst und Geschichte des Bezirksamtes geleitet. Die Tegel-Schau war ihre letzte große Aufgabe. Kuratiert hat sie die Ausstellung zusammen mit Florina Limberg und Sebastian Teutsch von "Kirschendieb und Perlensucher Kulturprojekte" und der Architektin Christiane Borgelt. Jeder hatte einen Part in der "Stadt.Wald.See"-Trilogie.
Die "Stadt" beginnt mit der Industrialisierung. Dem Zuzug von Fabriken folgte der Zuzug von Menschen. Borsigwalde und das Unternehmen Borsig stehen dafür exemplarisch, wie Sebastian Teutsch noch einmal herausarbeitete. In ihrer Größe sei die Firma aber auf Tegeler Gebiet ein Solitär gewesen. Eher stand die Wirtschaftsstruktur für kleinere und mittlere Betriebe, wenn auch manche mit nicht unerheblicher Bedeutung. Ein Muster, das sich bis heute erhalten hat, dargestellt am Beispiel der Schokoladenmanufaktur Sawade. Nicht nur dieser Abriss landet relativ schnell im Heute. Und im Morgen.
Die Zukunft von leben, arbeiten
und forschen
Für die Zukunft steht besonders das Areal des ehemaligen Flughafens. Es nimmt breiten Raum in der Ausstellung ein. Die künftige Version von leben, arbeiten und forschen unter möglichst ressourcenschonenden Bedingungen wird dort ausgebreitet. Viele Fotos zeigen aber auch noch einmal den Flugbetrieb in verschiedenen Epochen, das Oktogon von außen und innen. Und es geht noch weiter zurück, in die Zeit, als auf dem Gelände ebenso wie am Tegeler See Raketen getestet wurden. Auf einer Aufnahme, entstanden im November 1930, hält ein junger Mann namens Wernher von Braun eine Raketenattrappe in der Hand. Er wird unter den Nazis und unter Missbrauch vieler Zwangsarbeiter die sogenannten V1- und V2-Luftgeschosse entwickeln und bauen lassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in den USA maßgeblich am Apollo-Programm beteiligt, mit dessen Raketen 1969 der erste Mensch auf dem Mond landete.
Die Stadt hat sich nach und unter dem Eindruck der Industrialisierung sehr unterschiedlich entwickelt, erklärte Christiane Borgelt. Die sehr diverse Struktur seiner Kieze sei ebenfalls typisch für Tegel: Letzte Reste des Dorfs in Alt-Tegel. Die Hochhäuser in Tegel-Süd. Nicht weit entfernt, begrenzt vom Gefängnis und dem Flughafensee, die Einfamilienhaussiedlung. Und als eine weitere Facette das Schlossquartier, das "Dahlem von Tegel". Dort gibt es auch einen guten Übergang zum Thema Wald, steht doch im Park des einst von den Humboldts erbauten Schlosses mit der Dicken Marie der wahrscheinlich älteste Baum Berlins. Er stand wohl schon, als Tegel aus dem Dunkel der Geschichte trat.
Der Wald namentlich im Tegeler Forst und in der Jungfernheide hat schon von seinen Ausmaßen her eine ziemliche Bedeutung für den Ortsteil. Und er zeigt sich, wie in der Ausstellung ebenfalls vermerkt wird, einigermaßen resistent für künftige Herausforderungen, Stichwort Klimawandel. Das ist teilweise auch der neueren Geschichte geschuldet. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe in vielen Berliner Wäldern, auch angeheizt durch die Siegermächte, ein massives Abholzen stattgefunden. Im Tegeler Forst habe der französische Stadtkommandant dagegen einen solchen Kahlschlag verhindert.
Badespaß für alle
Eine historische Begründung, warum sich etwas in eine bestimmte Richtung entwickelt hat, gibt es auch beim Thema See. Ab etwa 1870 wurde der Tegeler See zum Berliner Ausflugsgebiet. "Mit Kind und Kegel raus nach Tegel" lautete der Slogan dazu. Es gab verschiedene Strandbäder und Badestellen, die dazugehörige Gastronomie, den Schiffsverkehr, weitere Angebote rund um das Wasser. Auch auf das Wassersport-Vereinswesen, samt mehrerer olympischer Medaillengewinner, wird in diesem Zusammenhang hingewiesen.
Diese Entwicklung verlief fast zwangsläufig. Tegel sei aber, im Gegensatz zu manchen anderen Badeorten, immer ein Ziel für die Massen geblieben, sagte Sebastian Teutsch. Private Wassergrundstücke und damit nur eingeschränkten Zugang zum Ufer gäbe es selten. Dass dort kein mondänes Seebad entstand, habe bereits die zuvor schon eingesetzte Industrialisierung verhindert.
Mit Stadt, Wald und See lässt sich Tegel also sehr gut durchdeklinieren und erklären, wie es wurde, was es ist und was werden kann. Der Ortsteil sei eine Art Berlin im Kleinen und schon deshalb in vielem beispielgebend, fand Cornelia Gerner. Das zu veranschaulichen sei Ziel der Jubiläumsausstellung "700 Jahre später", so der Untertitel.
"Stadt.Wald.See" wird bis zum 18. September im Museum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, gezeigt. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag und Sonntag, jeweils von 9 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen finden sich auf der Website www.museum-reinickendorf.de. Es gibt auch ein Begleitprogramm, zum Beispiel am Sonntag, 26. Juni, um 14 Uhr eine Führung durch die Ausstellung. Anmeldung unter Tel. 902 94 64 00 oder E-Mail an museum@reinickendorf.berlin.de.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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