Die süßesten Verführungen Berlins
Im Traditionsunternehmen Sawade wird jede Praline handgefertigt
Das Weihnachtsgeschäft ist angelaufen. Jetzt hat Melanie Hübel gerade wenig Zeit. Eine Stunde aber nimmt sie sich Zeit für ein Gespräch über Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Sawade, der ältesten noch existierenden Pralinenmanufaktur Berlins.
Melanie Hübel, gelernte Grafikerin und ihr Mann Benno, Koch und Betriebswirt, haben 2013 den damals insolventen Betrieb an der Wittestraße in Tegel übernommen und in den Jahren danach neu aufgestellt. Als sie endlich das Gefühl hatten, dass der große persönliche und auch finanzielle Einsatz Früchte tragen würde, kam Corona und in Folge der Pandemie eine zweite Insolvenz. Dank eines Investors, der bei Sawade einstieg, konnte auch diese Krise überwunden werden. Die Solidarität vieler Kunden hat in dieser Phase ebenfalls zum Überleben beigetragen.
Pralinen und Trüffel. Die Pralinenmanufaktur besteht seit 142 Jahren. Im Gegensatz zur langen Firmengeschichte haben die Produkte eine kurze Haltbarkeit. Denn alle Pralinen und Trüffel werden ohne chemische Konservierungsstoffe und künstliche Aromen hergestellt und auch Palmöl wird nicht verwendet. Die Kreationen bestehen ausschließlich aus naturbelassenen Zutaten und edlen Rohstoffen, die allesamt handgemacht sind. Diese Firmen-DNA ist für Melanie Hübel ein wichtiger Schlüssel für die Zukunft. „Auch in unserer Branche überleben vor allem Anbieter, die entweder besonders günstige oder besonders hochwertige Ware anbieten.“ Wo sich Sawade einreiht, macht ein Blick in die Vergangenheit sofort deutlich.
Diese Firmen-DNA ist für Melanie Hübel ein wichtiger Schlüssel für die Zukunft. „Auch in unserer Branche überleben vor allem Anbieter, die entweder besonders günstige oder besonders hochwertige Ware anbieten.“ Wo sich Sawade einreiht, macht ein Blick in die Vergangenheit des Traditionsunternehmens sofort deutlich. Sie war ein wichtiger Grund für die heutigen Besitzer, hier einzusteigen.
Marc de Champagne. Die Geschichte von Sawade beginnt im Jahr 1880 Unter den Linden. An der Hausnummer 18/19 eröffnet Ladislaus Maximilianus Ziemkiewicz ein Geschäft für französische Pralinen. Die Herstellung hatte er in Paris gelernt. Namenspatin für seine Süßwaren wurde eine Nachbarin mit Namen Madame de Savadé. Sie soll mit ihm in „enger Beziehung“ gestanden haben. Wie eng sie war, wird der Nachwelt wohl für immer verborgen bleiben. Gesichert ist dagegen, dass seine Pralinen sehr schnell Anklang bis in höchste Kreise fanden. Zu seinen Kunden zählten beispielsweise der Prinz Georg von Preußen oder der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Durch die blaublütige Klientel wurde Ziemkiewicz zum Königlichen Hoflieferanten.
Viel später, Ende der 1960er-Jahre, entstand das heutige Werk in Reinickendorf. Sawade betreibt zudem Filialen an der Friedrichstraße, am Kurfürstendamm, am Hackeschen Markt, im KaDeWe, in der Reichsstraße in Westend sowie der Bergmannstraße in Kreuzberg. Dazu kommt der Werksverkauf in der Wittestraße 26d (Mo-Fr, 10-18 Uhr). Außerdem gibt es die Pralinen und Trüffel in zahlreichen Geschäften in der Stadt und bundesweit sowie im Online-shop auf sawade.berlin.de.
Ziemkiewicz sei damals nur einer von mehreren Vertretern dieser Branche in Berlin gewesen und nicht der Größte, sagt Melanie Hübel. Aber sie alle hätten den Ruf des „süßen Berlin“ begründet. Die Fabrikation von edlem Naschwerk war ein Markenzeichen der schon damaligen Metropole.
Königin Luise. Erhalten haben sich manche Rezepte, die bis in die Gründerzeit zurückreichen. Das gilt vor allem für die Kreation „Königin Luise“, benannt nach der einstigen preußischen Königin (1776-1810). Die Praline besteht aus fünf Schichten, die sich aus Weichkrokant, Nuss-Nougat, Mandel-Nougat, Butter-Trüffel und Edelmarzipan zusammensetzen und von Zartbitterschokolade umhüllt werden. Gerade hier ist präzise Handarbeit gefragt.
Andere Kreationen sind neueren Datums. „Erst gestern hatten wir eine Präsentation“, erzählt die Chefin. Es ging um eine Birnen-Praline, die möglicherweise ins Sortiment aufgenommen wird. Aktuell sind rund 200 verschiedene Süßwaren im Angebot. Dabei gelte es immer abzuwägen zwischen Tradition und Erneuerung.
„Es muss sich verändern, damit es so bleibt“, beschreibt Melanie Hübel diesen Spagat. Sie selbst hat natürlich auch eine Sawade-Lieblingspraline: „Alteisen Trüffel“. Die Bestandteile sind Sahne Trüffel mit Jamaika Rum in Edelbitterschokolade und in Kakaopulver gewälzt.
Um die Wünsche ihrer Kunden zu kennen, brauche sie keine Marktforschung. Der Blick in die Läden genüge. Menschen, die Wert auf Qualität legen, verbinde oft eine langjährige Treue und hohe Identifikation mit dem Produkt. Ein Bindeglied seien Klassiker wie die Mistelzweig-Kollektion. Gleichzeitig gehe es darum, neue Kunden zu gewinnen, sei es durch vegane Pralinen oder mit dem Design weitere Zielgruppen anzusprechen. Eine Ausgabe des Adventskalenders wird zum Beispiel von der Illustratorin Kat Menschik gestaltet. Er steht neben Pralinenschachteln mit Berliner Motiven wie dem Brandenburger Tor, Reichstag, dem Fernsehturm oder der Gedächtniskirche.
Zartbitter. Sawade hat aktuell rund 75 Mitarbeiter, davon rund 30 in der Produktion. Sie fertigen die Pralinen nach alten Rezepten an oder kreieren neue. Der Beruf nennt sich heute Süßwarentechnologe, früher hieß er Konfektmacher. Die Ausbildung bei Sawade vermittle nicht nur das ganze Wissen des Berufstandes, erklärt Melanie Hübel. In ihrem Traditionsunternehmen würden auch die speziellen Rezeptgeheimnisse an die nächste Generation weitergegeben. Gerade das mache das Besondere aus. Über alle Brüche und Veränderungen funktioniere dieser Human Transfer, betont sie.
Dennoch bereitet ihr der Mangel an Nachwuchs Sorge. Nur drei Auszubildende gibt es im Unternehmen. Künftige Fachkräfte sind jedoch Voraussetzung für das Überleben auch dieser Manufaktur. Denn Berlin hatte einst den Ruf eine Stadt der Manufakturen zu sein und nicht nur in der Pralinen- und Schokoladenbranche, erklärt Melanie Hübel. Es gebe auch jetzt wieder vieles, was in dieser Stadt erdacht, erschaffen, produziert werde. Ob damit der Durchbruch geschafft werden könne, liege aber am Konsumverhalten der Bevölkerung.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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