Kein Geld für eine kritische Stadtteiltour
Bezirksverordnete für Auseinandersetzung mit Straßennamen im Fliegerviertel

Einfahrt ins Fliegerviertel an der Manfred-von-Richthofen-Straße nahe S-Bahnhof Tempelhof. | Foto:  Schilp
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Für etliche Straßen der Gartenstadt Neu-Tempelhof standen Kampfpiloten aus dem Ersten Weltkrieg Pate, deshalb wird das Quartier auch „Fliegerviertel“ genannt. Die Bezirksverordneten wünschen sich seit einiger Zeit eine kritische Auseinandersetzung mit den Straßennamen. Kulturstadtrat Tobias Dollase (parteilos, für CDU) hat kürzlich über den Stand der Dinge berichtet.

Viele vermuten, dass die Straßen der Gartenstadt, die ab 1911 errichtet wurde, von Anfang an nach Personen der Luftfahrt hießen. Schließlich lag das ehemalige Exerzierfeld ganz in der Nähe, auf dem ab 1909 Flugvorführungen stattfanden (der Bau des Flughafens wurde dann 1922 beschlossen). Doch es verhält sich anders. Ursprünglich trugen die Straßen Namen von Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs oder von Herrschergeschlechtern. Davon zeugt zum Beispiel noch der Hessenring oder die Kleingartenanlage Zähringerkorso, die sich nach der Straße benannt hat, die heute Werner-Voß-Damm heißt.

Erst 1930 und 1931 wurden fünf vorher namenlose Straßen nach Fliegern benannt, nach Walter Höhndorf, Wilhelm Siegert, Kurt Wintgens, Friedrich Hermann Wölfert und Kurt Wüsthoff. Wenige Jahre später kamen die Nationalsozialisten an die Macht, die Vaterland, Soldatentum und natürlich auch die „Helden der Lüfte“ verehrten. Einer der ganz Großen war in ihren Augen Manfred von Richthofen, der 1918 über Frankreich abgeschossen wurde, kurz vor seinem 26. Geburtstag. Sein Todestag, der 21. April, wurde 1936 von den Nazis zum „Tag der deutschen Luftwaffe“ ernannt. Aus diesem Anlass wurden 16 weitere Neu-Tempelhofer Straßen mit viel Pomp nach Jagdfliegern umgetauft – von B wie Bäumerplan über L wie Leonardyweg bis W wie Wolffring. Initiator war Reichsluftfahrtminister Hermann Göring persönlich.

Manfred von Richthofen, der "Rote Baron", war ein gefeierter Kriegsheld. Rudolf Kleine, ebenfalls Flieger im Ersten Weltkrieg, wurde, genau wie von Richthofen, während eines Einsatzes abgeschossen.  | Foto: Schilp
  • Manfred von Richthofen, der "Rote Baron", war ein gefeierter Kriegsheld. Rudolf Kleine, ebenfalls Flieger im Ersten Weltkrieg, wurde, genau wie von Richthofen, während eines Einsatzes abgeschossen.
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Die Bezirksverordneten würden es nun gerne sehen, wenn nach dem Vorbild der Schöneberger Tour über die „Rote Insel“ etwas Ähnliches für das Fliegerviertel entwickelt würde. Dabei solle über die Geschichte der Straßennamen und der Benennungen informiert werden, heißt es in ihrem Antrag. Doch das kann Kulturstadtrat Dollase derzeit nicht in Aussicht stellen. Für ein solches Projekt stehe dem Bezirksamt kein Geld zur Verfügung. Auch eine Quelle für Fördermittel habe noch nicht ausgemacht werden können. Benötigt würden laut Dollase mindestens 100 000 Euro.

Interessant findet der Stadtrat das Ganze durchaus. „An Berlins Straßennamen werden nicht nur die wechselvolle Geschichte der Stadt mit ihren Ereignissen und politischen Umbrüchen, sondern auch der gesellschaftliche Wandel und die wechselnden Deutungshoheiten über Erinnerungskultur im öffentlichen Raum erkennbar“, sagt er. Deshalb hätten auch die Museen Tempelhof-Schöneberg das Thema 2022 aufgegriffen. Gemeinsam mit dem Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand und den anderen Berliner Bezirksmuseen werde nun die Ausstellung „Berlins Straßennamen in Geschichte und Gegenwart“ auf die Beine gestellt. Sie solle im Frühjahr 2025 zu sehen sein. Dabei werde auch die Historie des Fliegerviertels kritisch beleuchtet. Geld für das Projekt komme von der Lotto-Stiftung.

Das Fliegerviertel entstand in mehreren Bauphasen. Diese Häuser am Siegertweg wurden in den 1920er-Jahren errichtet. | Foto: Schilp
  • Das Fliegerviertel entstand in mehreren Bauphasen. Diese Häuser am Siegertweg wurden in den 1920er-Jahren errichtet.
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Übrigens hatte der Berliner Magistrat nach dem Zweiten Weltkrieg völlig neue Straßennamen für die Gartenstadt geplant. Die Flieger sollten durch pazifistische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Erich Mühsam, Bertha von Suttner, Georg Büchner, Ada Negri oder Franz Werfel ersetzt werden. In einem Stadtplan von 1946 waren sie sogar schon verzeichnet. Doch letztendlich kam es nie zur Umbenennung. Das lag einerseits an bürokratischen Schwierigkeiten, andererseits an politischen Auseinandersetzungen im Magistrat. Im Bezirk machte sich die SPD nochmals 1947 für das Vorhaben stark, doch die CDU setzte durch, das Ganze nochmals in einem Sonderausschuss zu diskutieren. Es blieb bei den alten Straßenschildern.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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