"Ein starkes Redebedürfnis"
Debora Ruppert fotografiert Obdachlose und stellt im Rathaus Tempelhof aus
Für Debora Ruppert (37) war Fotografie anfangs ein Hobby. Heute ist es ihr Beruf. Nach ihrem Umzug von Frankfurt am Main nach Berlin fotografierte sie zunächst Streetart. Seit 2009 porträtiert sie Obdachlose. Ihre Aufnahmen sind jetzt im Rathaus Tempelhof zu sehen. Wir haben mit ihr über das Projekt gesprochen.
Warum fotografieren Sie Obdachlose?
Debora Ruppert: Stars und Sternchen interessieren mich nicht. Ich fühle mich eher zu Menschen am Rand der Gesellschaft hingezogen und ich glaube, ich habe ein anderes Schönheitsverständnis. Für mich ist Schönheit nicht das Makellose, Glatte, Perfekte, sondern eher das Echte, Authentische. Ich finde auch, es ist eine Schönheit darin, wenn man gelebt hat. Im Sinne von, wenn Menschen Falten haben. Alte Gesichter sind oft sehr ausdrucksstark. Die Straße hat etwas sehr Rohes, oft Gewalttätiges, aber auch sehr Echtes.
Wie reagieren Obdachlose auf Sie?
Debora Ruppert: Unterschiedlich. Von zehn sind vielleicht vier offen und möchten porträtiert werden. Die meisten haben ein starkes Bedürfnis zu reden, weil es alleine auf der Straße sehr einsam ist und sie merken, dass die Leute ihnen ausweichen. Meistens setze ich mich erstmal zu ihnen, unterhalte mich und im Laufe des Gesprächs erzähle ich dann von dem Fotoprojekt. Ich sage auch, dass es auf die Lebenssituation aufmerksam machen soll. Bei Frauen bemerke ich, dass sie mit Bildern vorsichtiger sind. Letztens am Hackeschen Markt hatte ich eine Situation mit einer Frau, die erst gesagt hat, sie möchte sich gerne porträtieren lassen, und dann plötzlich: „Nein, also heute bin ich ja gar nicht geschminkt, das geht jetzt nicht.“ Ich glaube, dass sie mehr auf ihr Erscheinungsbild achten als Männer und ihnen wichtig ist, auf den Bildern hübsch auszusehen.
Verändern Sie die oft traurigen Geschichten?
Debora Ruppert: Auf jeden Fall. Es konfrontiert einen immer wieder mit dieser Zerbrechlichkeit des Lebens, weil man wirklich Leute trifft, die waren Eventmanager, die sind Akademiker. Es ist nicht so, dass man nur Leute trifft, die schon vorher in prekären Verhältnissen gelebt haben. Was mir sehr auffällt ist, dass Männer oft auf der Straße landen, wenn eine Beziehung zerbricht. Dann beginnt eine Spirale. Sie gehen nicht mehr arbeiten, fangen an zu trinken und zahlen nicht mehr die Miete.
Haben Sie mal eine bedrohliche Situation erlebt?
Debora Ruppert: Ich mache viel nach Intuition, spreche nur Leute an, bei denen ich ein gutes Bauchgefühl habe. Viele sind so happy, wenn jemand freundlich mit ihnen redet, dass sie einen gerne auf einen Schnaps oder ein Eis einladen wollen. Daran merke ich die krasse Sehnsucht nach sozialer Interaktion und dass sie auch was zurückgeben wollen. Männer, wenn sie stärker alkoholkrank sind, fragen manchmal: Hast du einen Freund? Das ist dann so ein Punkt, wo ich mich sehr klar abgrenzen muss. Bedrohlich war das aber nie.
Die entwickelten Porträts bringen Sie dann als Geschenk zurück. Mit welchen Reaktionen?
Debora Ruppert: Die meisten freuen sich sehr, zeigen das dann auch stolz ihren Kumpels. Es ist manchmal auch ein ungläubiges Staunen, dass ich wirklich wiedergekommen bin. Ich glaube, viele haben so viele Enttäuschungen und Wortbrüche auf der Straße erlebt, dass sie denken, man erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Vor Kurzem hatte ich einen Herrn aus Polen. Der hat sich total süß gefreut und dann getanzt. Bei einigen habe ich schon das Gefühl, dass sie überrascht sind, sich auf einem Bild zu sehen. Wahrscheinlich haben sie sich lange nicht mehr selbst betrachtet.
Die Ausstellung „KEIN RAUM – Begegnungen mit Menschen ohne Obdach“ läuft vom 22. Februar bis 15. März im Salon im Lichthof, 1. Etage im Rathaus Tempelhof, Tempelhofer Damm 165. Geöffnet ist Mo-Fr 9-17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Infos unter https://www.street-life-berlin.com/portraits.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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