„Ich liebe das ungestörte Suchen“
Mit viel Begeisterung taucht Yeshi Rösch in fremde Familiengeschichten ein

Yeshi Rösch, geboren in München, promovierte in Kulturwissenschaft und Geschichte, arbeitete unter anderem mehrere Jahre im Jüdischen Museum und später in der Erbenermittlung. Vor drei Jahren hat sich Yeshi Rösch mit der Ahnenforschung selbstständig gemacht. | Foto:  Schilp
  • Yeshi Rösch, geboren in München, promovierte in Kulturwissenschaft und Geschichte, arbeitete unter anderem mehrere Jahre im Jüdischen Museum und später in der Erbenermittlung. Vor drei Jahren hat sich Yeshi Rösch mit der Ahnenforschung selbstständig gemacht.
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Yeshi Rösch lebt in Tempelhof und hat vor drei Jahren eine große Leidenschaft zum Beruf gemacht: die Ahnenforschung. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp traf sich mit Dr. Yeshi Rösch zum Gespräch.

Wie sind Sie zur Ahnenforschung gekommen?

Yeshi Rösch: Ich habe mich immer schon für Stammbäume und Familiengeschichten interessiert. Meine Oma beispielsweise ist mit neun Geschwistern aufgewachsen. Ich habe sie als Kind viel befragt, weil ich unbedingt wissen wollte, wie sich das anfühlt. Das Interesse ist dann über Jahrzehnte gewachsen.

Aus welchem Grund wenden sich Menschen an Sie?

Yeshi Rösch: Das ist ganz unterschiedlich. Jemand will seiner Mutter zum 80. Geburtstag einen schön gestalteten Stammbaum schenken. Eine Frau ist auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater. Eine andere interessiert sich für einen Onkel, der totgeschwiegen wird. Oder dafür, was der Großvater im Zweiten Weltkrieg gemacht hat. Manchmal fühlt sich jemand bedrückt oder schuldig und spürt, dass es etwas mit der Familie zu tun haben muss. Ich glaube, dass so etwas wie Schuld oder Trauer tatsächlich in die nächsten Generationen übertragen werden kann.

Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit praktisch vor?

Yeshi Rösch: Zu Beginn steht das Gespräch mit der Person, die mich beauftragt. Erst geht es immer um einen Stammbaum. Wir tragen gemeinsam möglichst viele Fakten über die Familie zusammen. Ab und zu gibt es Ahnenpässe, oft Urkunden, Taufeinträge oder ähnliches. Aber auch beschriftete Rückseiten von Fotos können etwas verraten oder Briefe, in denen ein „Onkel Heiner“ grüßen lässt oder von „Cousine Resi“ berichtet wird, die umgezogen ist. Dann recherchiere ich gezielt in Datenbanken, Archiven, Urkunden, Kirchenbüchern und Zeitungsartikeln, wobei die Spuren nicht selten in den Osten – etwa nach Polen oder Litauen – führen. Präsentiere ich einen ersten Stammbaum, fallen den Kunden oder deren Familien oft noch mehr interessante Details ein.

Ihre Aufgabe erschöpft sich aber nicht darin, dass Sie Namen und Verwandtschaftsbeziehungen in einer Grafik darstellen.

Yeshi Rösch: Nein, natürlich nicht. Ich finde bei meiner Arbeit ja viel mehr heraus und ich forsche so lange, wie es die Kunden möchten. Manchmal sind die Erkenntnisse für die Nachkommen bitter, bringen aber auch mögliche Erklärungen, zum Beispiel für psychische Anfälligkeiten oder Alkoholabhängigkeit. Oder dafür, dass die Urgroßmutter oft so gereizt war, nämlich weil ihr Ehemann nebenbei Kinder mit einer anderen Frau hatte, diese Tatsache aber verschwiegen wurde. Oder warum der Großonkel nach dem Zweiten Weltkrieg so ein freudloses Leben führte.

Hin und wieder entdecken Sie auch Menschen, die völlig in Vergessenheit geraten sind, richtig?

Yeshi Rösch: Neulich fand ich ein Scheidungsurteil aus dem 19. Jahrhundert. Darin gibt die Ehefrau detailliert zu Protokoll, wie ihr Mann sie brutal geschlagen hat, während die Schwiegermutter schweigend daneben stand. Der Mann war der Urgroßvater meines Kunden, der von der Existenz einer ersten Ehefrau nichts geahnt hatte. Auch Suizide und Fehlgeburten finden Platz in meinen Stammbäumen und werden so oft zum ersten Mal überhaupt sichtbar. Auch Säuglinge, die aufgrund von Epidemien, Armut oder Vernachlässigung starben oder wegen Fehlernährung, da man sie mit Mehlbrei statt mit Muttermilch gefüttert hatte.

Aber Sie haben Ihren Kunden doch sicher auch Positives mitzuteilen?

Yeshi Rösch: Oh ja! Es ist alleine schön, wenn Personen aus der Vergangenheit vor dem inneren Auge der Nachkommen auferstehen, wenn die Lebensumstände und die Berufswahlen der Vorfahren deutlich werden. Oder wenn eine Großtante auftaucht, die einen eigenwilligen künstlerischen Lebensweg gewählt hatte. Manchmal entdecke ich auch Fotos. Gerade habe ich ein Tagebuch eines Mannes transkribiert, der vom Ersten Weltkrieg bis 1942 geschrieben hat. Seine Entwicklung war sehr bewegend. Es haben sich für seine Nachfahren so viele neue familiäre Bezüge ergeben, dass ich jetzt auch die Geschichte der Ehefrau recherchieren soll.

Kommen wir zu einem anderen Punkt. Sie helfen auch dabei, wenn Menschen einen leiblichen Verwandten finden wollen, aber zunächst überhaupt keinen Ansatzpunkt haben.

Yeshi Rösch: Ja, ich arbeite dabei mithilfe der DNA-Analyse. Hier wird die DNA des Kunden oder der Kundin in einer internationalen Datenbank mit der von anderen Menschen verglichen, die ebenfalls auf der Suche nach ihren Vorfahren sind. Das sind weltweit Millionen Personen. Die meisten Übereinstimmungen kommen aus den USA, wohin ja auch viele Deutsche seit dem 19. Jahrhundert ausgewandert sind. Das ist arbeitsintensiv, aber eine sehr erfreuliche und bereichernde Seite der Ahnenforschung. Man entdeckt tatsächlich Verwandte, die durch Archivrecherche nicht zu finden wären, da viele Akten und Dokumente nicht mehr vorhanden sind.

Abgesehen von Ihren Gesprächen mit den Auftraggebern, ist Ihre Arbeit nicht sehr einsam?

Yeshi Rösch: Einsam? Nein, es ist eine ungemein spannende Arbeit und ich liebe das ungestörte Suchen, das Blättern in Kirchenbüchern, das Erstellen von Stammbäumen am Computer. Das ist mein Traumjob!

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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