„Den Stimmzettel bitte richtig falten …“
Von einem, der auszog, Wahlhelfer zu werden
Tempelhof. Natürlich fällt mir der berühmte, angeblich gestohlene Ausspruch von John F. Kennedy ein: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“ Nun, ganz so pathetisch sehe ich die Sache dann doch nicht und frage mich: Soll ich mich als Wahlhelfer zur Verfügung stellen oder doch besser nicht? Schließlich werden überall in der Stadt Wahlhelfende für die Wahlen zum 10. Europäischen Parlament am 9. Juni gesucht und dies, scheint es, händeringend.
Wähler war ich schon oft, aber als Wahlhelfer wäre es das erste Mal in meinem Leben. Weil nach kurzer Überlegung die Neugierde siegt, entschließe ich mich zu einer Meldung in Tempelhof-Schöneberg.
Die geht über das Internet ganz leicht. Ich gebe ohne groß nachzudenken keine Funktion an, die ich dabei ausfüllen möchte, schicke meine persönlichen Daten ab. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter: Gut gemacht! Dann passiert erst einmal überhaupt nichts. Eine E-Mail und ein paralleler Brief des Wahlamts führen allerdings erstmal zu einer Enttäuschung: Ich bin nur Reservekraft in den Urnenwahllokalen, wenn auch in der Funktion eines stellvertretenden Vorstehers.
Neben dem Dank für die gezeigte Bereitschaft enthalten die Schreiben eine Einladung zu einer Infoveranstaltung im Rathaus Schöneberg, „um auch als Reservekräfte bestmöglich auf einen eventuellen Einsatz vorbereitet zu sein“.
Vorbereitung aufs Ehrenamt
Pünktlich um 8 Uhr sitze ich im gut gefüllten BVV-Saal in der zweiten Rathaus-Etage mit einer 80-seitige Broschüre mit Hinweisen für Wahlvorstände. Darin erfahre ich, wie man gültige von ungültigen Stimmen unterscheiden kann und wie der Wahlzettel aussieht: Den kenne ich bereits, denn ich habe schon Briefwahl gemacht. Aber natürlich steht da noch viel mehr Wissenswertes, stelle ich anerkennend fest.
Das mit der Reserve ändert sich am Freitag vor der Wahl. Eine Mitarbeiterin teilt mir meinen „Aufstieg“ zu einem festen Mannschaftsmitglied mit, das im Wahllokal 07511 in der Schätzelberg-Grundschule am Wolfsburger Weg vom „Anpfiff“ um 8 Uhr an dabei sein wird. Ein erneuter Anruf aus dem Wahlamt am Sonnabend entpuppt sich letztlich als Fehlalarm – der ausgefallene Vorsteher meines Wahllokals kann dann doch kurzfristig ersetzt werden: Ich kann auf meiner Position bleiben. Erleichterung stellt sich ein.
Es ist Wahltag, aufstehen um kurz nach fünf. 7 Uhr: Ich habe den Vorsteher von zu Hause mit dem Auto abgeholt und nun stehen wir, das etwa paritätisch mit Frauen und Männern besetzte Wahlteam, mit den Wahlunterlagen vor unserem Wahllokal. Die Arbeit an einem langen Wahlsonntag kann beginnen. Und sie beginnt unspektakulär mit dem Einrichten des Raumes – ich wusste gar nicht, was vor einer Wahl alles zu tun ist in einem Wahllokal: Fahnen aufhängen, Stimmzettel bereitlegen, Wahlkabinen und natürlich die Wahlurne kontrollieren, aufstellen und verschließen sind wichtige, aber auch nur einige der vielen Dinge, an die es zu denken gilt und die das Team eine Stunde lang auf Trab halten.
Zehn Stunden lang viel zu tun
Um 8 Uhr, wir sind vom Wahlvorsteher zur Verschwiegenheit verpflichtet worden, können die ersten Wähler kommen und tun dies auch. Jetzt ist einiges zu beachten: Keine der heute nur wenigen Kinder mit in die Kabine nehmen – die könnten die getroffene Wahl ausplaudern, Wahlscheine von Briefwählern entgegennehmen und ihnen wie allen anderen Wahlberechtigten die Wahlunterlagen aushändigen, im Straßenverzeichnis für Hilfesuchende deren richtiges Wahllokal heraussuchen, auf richtiges Falten des ausgefüllten langen Stimmzettels hinweisen, Wählerzahlen telefonisch ans Bezirkswahlamt melden: Wir haben in den nächsten zehn Stunden gut zu tun, totmachen müssen wir uns aber nicht. Vielleicht mal abgesehen von den Schriftführern, die ständig Ausweise kontrollieren und Häkchen im Wählerverzeichnis zu machen haben.
Besondere Vorkommnisse, die wir einem vorbeischauenden Polizisten hätten melden können, gibt es bei uns nicht, das „Wahlvolk“ besteht aus überwiegend netten Menschen, die eher einen Scherz als Randale machen. Keine Warteschlangen, und nur ganz wenige müssen an diesem langen Tag, etwa wegen verlorener Wahlscheine, von der Wahl zurückgewiesen werden.
Dann ist 18 Uhr. Das öffentliche Auszählen sollte schnell gehen bei nur gut 350 Stimmzetteln, doch es muss mehrfach genau nachgezählt werden. Das zieht sich hin. Die großen Parteien erhalten erwartungsgemäß die meisten Stimmen, doch es sind auch kleine, die von Wählern mit ihrer Stimme bei uns bedacht worden sind.
Um 21 Uhr, unser Wahllokal ist vom Wahlvorstand aufgeräumt (ja auch das ist Aufgabe), kann ich endlich alle Unterlagen, darunter die verpackten und versiegelten Stimmzettel, zusammen mit dem stellvertretenden Schriftführer in den nahegelegenen Wahlstützpunkt in der Körtingstraße fahren, wo wir schon dringlichst erwartet werden, denn der Transport-Lkw wartet schon. Mit im Gepäck eine unauflösbare Differenz einer Stimme mehr, als im Wählerverzeichnis abgehakt sind, von Wahlvorstand einstimmig als ein vergessenes „Häkchen“ im Wählerverzeichnis beschlossen. Ein Stimmzettel zu wenig wäre schlimmer, denke ich so für mich, während wir noch einige Unterschriften leisten. Halb zehn und ich kann endlich nach Hause fahren. Ich will nur noch schlafen …
Am nächsten Morgen der Blick ins total überlastete Internet: Stimmenzahlen der Parteien aus Tempelhof-Schöneberg finde ich gerade noch so, ehe alles zusammenbricht. Ob ich bei einer der nächsten Wahlen wieder ein Ehrenamt wie mein gestriges Übernehmen würde? Fragen Sie mich bitte in 14 Tagen dazu mal wieder …
Autor:Uwe Lemm aus Mahlsdorf |
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