Innenhöfe verwandeln sich in grüne Oasen
Selbst die Experten sind vom schnellen Erfolg des Pilotprojekts "Vielfalt Leben" überrascht
Wohnungen sind knapp, überall wird gebaut, Brachen verschwinden und damit auch Pflanzen und Tiere. Ist es möglich, Grünflächen so zu verändern, dass neue Lebensräume entstehen? Das Pilotprojekt „Vielfalt Leben“ in der Siedlung Märkische Scholle macht Mut.
„Vor über drei Jahren haben wir gehofft, dass sich die Wildbienenarten verdoppeln, unsere Erwartungen wurden übertroffen, aus 21 Arten sind 53 geworden. Bei den Schmetterlingen sieht es ganz ähnlich aus“, sagt Justus Meißner von der Stiftung Naturschutz Berlin. Gemeinsam mit der Genossenschaft Märkische Scholle hat die Stiftung seit 2017 die großen Innenhöfe der Siedlung an der Albrecht- und Felixstraße umgestaltet. Vier sind fertig, der fünfte in Arbeit.
Ihre Namen sprechen für sich: Meisenhof, Schmetterlingshof, Beerenhof, Kräuterhof, Igelhof. Der erste Schritt klingt ganz simpel. Die Naturexperten schauten, was passiert, wenn man den Rasen wachsen lässt. „Da gab es Knöllchen-Steinbrech, Pippau, Wiesensalbei, Braunelle. Die mussten wir einfach zum Blühen bringen“, so Meißner. Ergänzend wurden einheimische Gehölze, Frühjahrsblüher und heimische Wildpflanzen in die Erde gebracht. Dazu kamen Stein- und Asthaufen, Trockeninseln für Eidechsen, Nistmöglichkeiten, Fledermauskästen und, und, und. Gemäht wird jeweils nur ein Teil der Flächen, sodass die Tiere immer einen Unterschlupf finden und auch überwintern können.
Ein toter Baum, Lebensraum für unzählige Insekten, durfte ebenfalls stehen bleiben. „Wir haben der Genossenschaft gezeigt: Das ist gut möglich, ohne dass die Verkehrssicherheit in Gefahr ist. Ein toller Erfolg“, sagt Regina Otters, Leiterin des Projekts „Vielfalt Leben“. Weitere Gründe für gute Stimmung: Es kommen wieder Nachtigallen, um in den dichten Gebüschen zu nisten, nachts sind Fledermäuse unterwegs und Mauersegler können brüten, weil bei Fassadenarbeiten an Unterkünfte für sie gedacht wird.
Bei allem sind die rund 1600 Menschen, die in der Wohnanlage leben, einbezogen worden. Bei Info-Veranstaltungen sei es stets rappelvoll gewesen, erzählt Meißner. Gerade Ältere legten Wert auf „Veränderungen im Bestand“ und wollten keine komplette Umgestaltung. Immerhin fast 90 Prozent stimmten für Wiesen und gegen Rasen. Willkommen waren auch neue Bänke. Liegestühle, Hängematten oder eine Boulebahn dagegen nicht. Für die Anwohner steht die Ruhe im Vordergrund. Schließlich haben sie alle Balkone, die ins Grüne weisen. Die Stiftung Naturschutz kam den Wünschen gerne nach.
„Ein echter Türöffner waren die Hochbeete“, erinnert sich Otters. Sie wurden Bewohnern zur Verfügung gestellt. Ingrid Zielke, seit 25 Jahren Mieterin der Märkischen Scholle, ist eine von jenen, die bei dem Angebot sofort die Hand hoben. „Ich wollte immer einen Garten haben, nun bin ich richtig glücklich“, erzählt sie. Sie hat Tomaten, Kürbis, Gurken, Rosenkohl und Stangenbohnen in der großen Kiste gepflanzt, im vergangenen Jahr erntete sie Salat, Feldsalat und Brokkoli, der es sogar über den Winter geschafft hat. Jeden Tag kommt sie zum Gießen und freut sich über ihre Mini-Gemüseplantage.
Finanziert wird das Projekt von der Genossenschaft. Die Pflege läuft über ein von ihr beauftragtes Unternehmen. Jochen Icken, technischer Vorstand, hofft nun, genauso wie die Stiftung, dass die Siedlung als Muster für viele Nachahmer dient.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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