Digital ist hier nichts
Dietrich Leusinks Modelleisenbahn am Canisius-Kolleg ist auch ein Ort des Lernens
Spielkonsole kann jeder. Aber wer darf sich schon mit Loks, Waggons, Schienen und Weichen vergnügen, gegen den Zeitgeist ganz analog und unmittelbar? Der frühere Direktor einer Grundschule hat am Canisius-Kolleg in Tiergarten eine große H0-Modelleisenbahn aufgebaut.
Jeden Dienstagnachmittag treffen sich Schüler aus der Nachmittagsbetreuung am staatlich anerkannten, privaten katholischen Gymnasium an der Tiergartenstraße, um eine kleine Welt zum Leben zu erwecken. Leiter dieser „Arbeitsgemeinschaft (AG) Modelleisenbahn“ ist der ehemalige Schuldirektor aus Pankow, Dietrich Leusink.
Leusink hat nachgerechnet: Exakt 596 ehrenamtliche Arbeitsstunden hat er für den Aufbau der Anlage im Untergeschoss des Kollegs investiert. Dabei geholfen haben ihm der Hausmeister der Schule und ein Bekannter, der früher als Messtechniker gearbeitet hat. Im Januar hatten die Arbeiten begonnen. 103-mal fuhr Dietrich Leusink von seinem Wohnort Wilhelmsruh nach Tiergarten, um rund 50 Meter Gleise auf einer Fläche von 16,5 Quadratmetern zu verlegen und überall Miniaturhäuser, -bahnhöfe, -wassertürme und -lokschuppen aufzustellen. Sogar eine Drehscheibe gibt es auf der Anlage. Attraktion ist eine Gleiswende. Vor drei Wochen ist die AG gestartet. Digital ist an der Modelleisenbahn mit vier Steuerpulten nichts. „Das ist Absicht, wenn ein Pauker so etwas macht“, sagt Dietrich Leusink. Die Kinder müssen kooperieren. „Sonst funktioniert nichts.“ Der eine sitzt am Pult, der andere muss die Weichen und „Übergabestellen“ im Auge behalten.
Dass die Modelleisenbahn im Canisius-Kolleg steht, ist einem Zufall zu verdanken. Eine Freundin von Dietrich Leusinks Tochter arbeitet am katholischen Gymnasium. Sie konnte Schulleitung und Kollegium vom Projekt des ehemaligen Sport- und Mathematiklehrers überzeugen. Schon als junger Vater von drei Söhnen und einer Tochter begeisterte sich Dietrich Leusink für Modelleisenbahnen. Zu Weihnachten 1968 gab es die erste Eisenbahn in der Familie.
Er hatte also Übung, als er im Jahre 2001 als Direktor der Elizabeth-Shaw-Grundschule in Pankow eine erste Modelleisenbahn-AG gründete. Grundstock der Anlage waren sechs Lokomotiven, 30 Waggons und weiteres Eisenbahnmaterial des Spielwarenherstellers Piko aus Thüringen, verwahrt in zwei großen Taschen, die Dietrich Leusink von seinem Bruder geerbt hatte.
Von den Piko-Modellen sind noch vier Loks beziehungsweise Triebwagen dabei: eine S-Bahn, eine V180 der Deutschen Reichsbahn, eine Rangierlok und eine Lokomotive aus der BB-Reihe der Französischen Staatseisenbahn SNCF, wegen der zerknautschten Front im Volksmund „nez cassée“, zerbrochene Nase, genannt.
Vor zwei Jahren musste Dietrich Leusink die Modelleisenbahn in Pankow abbauen. Die Schule benötigte den Raum für andere Zwecke. Die Modellbahnanlage wurde in sieben Teile zerlegt. Heute aber steht sie wieder ganz da – und ist ausbaufähig. „Vier mal sechs Meter haben wir noch Platz“, sagt Dietrich Leusink. Gleich werden die Jungen und Mädchen in zwei Gruppen zu sieben bis acht Kindern kommen, zum Spielen und spielend Lernen, sich untereinander abzustimmen. Und Dietrich Leusink, der rüstige Rentner von 80 Lenzen, hat dabei gewiss auch seinen Spaß daran.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.