"Vergessen Sie bitte nicht, die Antenne zu erden
1923 wurde in Berlin das öffentliche Radio geboren
Das wilhelminische Kaiserreich ist geschlagen und untergegangen. Es herrscht große Not im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Die Inflation galoppiert. Aber die neue junge deutsche Demokratie will (technisch) mithalten.
Hans Bredow (1879-1959), Vorsitzender des Verwaltungsrates der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und Staatssekretär für das Telegrafen-, Fernsprech- und Funkwesen, beauftragt 1923 den Postdirektor des Telegraphentechnischen Reichsamtes (TRA) in Berlin, Friedrich Weichart (1893-1979), mit dem Bau eines ersten öffentlichen Rundfunksenders.
Das Vorhaben soll in kürzester Zeit umgesetzt werden und darf nichts kosten, lautet Bredows Auftrag. Ein schier unmögliches Unterfangen für Weicharts Sender-Laboratorium der Abteilung IV des TRA. Infolge der „gespenstischen und unbarmherzigen Inflation“ sei „jeder Unternehmergeist gelähmt“ gewesen. Niemand habe einen deutschen Rundfunk finanzieren wollen“, wird sich Friedrich Weichart 1930 in seinem Beitrag „In 14 Tagen einen Sender für Berlin“ für das Rundfunk Jahrbuch der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft erinnern.
Friedrich Weichart und sein Team machen sich trotzdem an die Arbeit. Sie experimentieren mit den 500-Watt-Senderöhren RS13 und RS18 – zunächst ohne Erfolg. Der Sommer vergeht. Doch dem Sender-Labor gelingt es schließlich „unter Anspannung aller Kräfte“, den Sender zu bauen. Am 1. Oktober ist er fertig.
Suche nach dem richtigen Standort
Wo soll der Sender stehen, damit er eine möglichst große Reichweite erzielt? Im Zentrum der Stadt, am Potsdamer Platz, sagt Friedrich Weichart. Die TRA-Fachleute inspizieren zahlreiche Gebäude, klettern auf viele Dächer. Das Vox-Haus scheint ihnen für das Vorhaben am geeignetsten zu sein. 1906 ist es als Büro- und Geschäftshaus errichtet worden. Die Vox-Grammophon-Gesellschaft hat dort ihren Sitz. Sie überlässt dem Radiolabor eine Dachkammer.
Friedrich Weichart berichtet im Jahrbuch: „Am 2. Oktober wurde der Sender hierher gebracht und sofort mit der Aufstellung begonnen. Bald waren die elektrischen Anschlussleitungen verlegt und die Maschinen angeschaltet. Das Telegraphenbauamt hatte inzwischen eine Antenne nach unseren Wünschen errichtet.“
Der Aufnahmeraum im dritten Stock des Vox-Hauses wird mit Wolldecken in zwei Bereiche aufgeteilt. Der größere Bereich, zur Schalldämpfung mit violettem Krepppapier behängt, wird Aufnahmeraum. Im kleineren Teil kommt die Technik unter. „Ein mit zwei Adressbüchern belegter Stuhl diente zur Aufstellung der Mikrofone“, schreibt Weichart.
Nach ersten Sendeversuchen am 18. Oktober 1923 soll der Sender auf Geheiß des Staatssekretärs elf Tage später seinen „programmäßigen Betrieb“ aufnehmen. Die frisch gegründete „Radio-Stunde“ kümmert sich um den Inhalt der Sendung.
"Achtung, Achtung, hier ist Berlin"
Es ist der Abend des 29. Oktober, als der zur Legende gewordene Satz „Achtung, Achtung, hier ist Berlin auf Welle 400m!“ aus dem Vox-Haus ertönt. Erster Rundfunksprecher ist Max Heye. Danach geben der Cellist Otto Urack und der Geiger Rudolf Deman, damals bekannte Musiker, verschiedene Stücke zum besten, so Robert Schumanns „Träumerei“. Der heute vergessene Tenor Alfred Wilde schmettert Arien ins Mikrofon. „Dazwischen kamen einige Grammophonplatten“, erinnert sich Friedrich Weichart. Der erste Rundfunktag und das erste öffentliche Rundfunkprogramm Deutschlands endet mit der Ansage: „Wir wünschen Ihnen eine gute Nacht! Vergessen Sie bitte nicht, die Antenne zu erden.“
Nach dem Mauerbau 1961 wird das Vox-Haus gesprengt und abgetragen. 1990 entsteht auf dem von der Daimler-Benz AG erworbenen Grundstück das Hochhaus Potsdamer Platz 1.
Mehr zur Radiogeschichte gibt es im Internet auf der Webseite www.radiomuseum.org.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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