Fichte: Baum des Jahres 2017 fühlt sich in Berlin nicht wohl
Tiergarten. Sie ließ uns in den 80ern das Waldsterben bemerken. Sie sorgte für die Erfindung des Katalysators und das Heranwachsen der Grünen zur ernstzunehmenden Partei. Doch erst nach 27 Jahren der Missachtung erlebte die Fichte die Kür zum Baum des Jahres.
Es gibt Königinnen für den Wein, gekrönte Häupter in Schützenvereinen und solche auf Schönheitswettbewerben. Anne Bente Schnorr wiederum hat sich in eine Rolle begeben, die das Unscheinbare am Wegesrand, in Wäldern und Parkanlagen besonders macht. Das Nordlicht aus Schleswig Holstein ist Deutsche Baumköniging 2017. Und mit ihrem hölzernen Hut, gesäumt von duftenden Zweigen, eilt sie im Namen der Dr. Silvius Wodarz Stiftung nun zwischen Amrum und den Alpen durch ein Land, das seinen Baum des Jahres erst lieben lernen muss: die Fichte.
Lobbyarbeit für den Flachwurzler
„Sie ist sehr vielseitig“, versucht die Studentin der Forstwirtschaft denjenigen zuvorzukommen, die bei der Nennung des Namens die Augen verdrehen. „Die Fichte taugt zur industriellen Verarbeitung. Und sogar zum Instrumentenbau.“ Ja, der immergrüne Flachwurzler hat Lobbyarbeit dringend nötig. Als Weihnachtsbaum macht er keine gute Figur, lässt die Nadeln allzu schnell zu Boden rieseln. In Wäldern kündet er von einer Monokultur – denn die übermäßige Neupflanzung nach dem Krieg wirkt bis heute nach.
Doch trotz ihres angeknacksten Images ist die Fichte der deutsche Baum schlechthin. Fast 30 Prozent der heimischen Gehölze gehören dieser Art an. Aber es brauchte 27 Jahre, ehe sie die Wodarz Stiftung nun zum Gewächs des Jahres ernannte. Traditioneller Ort der Ausrufung: der Zoologische Garten, Anschauungsort des naturverbundenen Städters. Auf jeden Baum kommen hier fünf Tiere. Aber die Fichte, sie ist eine Seltenheit, im Zoo ebenso wie in ganz Berlin.
„Ihr ist es in Berlin einfach zu warm, zu trocken und zu schmutzig“, begründet Uwe Hahn, der gärtnerische Leiter des Zoos, den Unwillen, an der Spree Wurzeln zu schlagen. Das neu gepflanzte Exemplar für die Feier der Wodarz Stiftung stammt sinnigerweise aus den Alpen.
„Diese Baumart hat Sorgen und macht Sorgen“, erklärte Initiator Silvius Wodarz bei seiner Ansprache. „Manche verteufeln sie wegen der Monokultur. Andere halten sie für den Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft. Wir bewegen uns mit unserem Urteil genau dazwischen.“ Immerhin hängen in der Bundesrepublik 1,1 Millionen Arbeitplätze an der Forstwirtschaft. Und damit auch an der Fichte.
Dass die Deutschen als Fichtenverächter künftig wertschätzend urteilen über den Grundstock ihrer Forstwirtschaft, wird Anne Bente Schnoors Geschick bedürften. Von ihrer Vorgängerin Lil Wendeler nahm sie bei der Übergabe des Holzhuts einen Hinweis darauf mit, dass ihr Einsatz im nächsten Oktober enden wird: „Dann wird man abgesägt“, erlaubte sich Wendeler, die Verkörperung der Winterlinde im Jahre 2016, einen Witz. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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