Unmögliches möglich gemacht: Gemäldegalerie zeigt „Diptychon von Melun“
Tiergarten. Zwei Gemälde und ein Medaillon mit außergewöhnlicher Ästhetik und Geschichte stehen im Mittelpunkt einer neuen Kabinettausstellung in der Gemäldegalerie am Kulturforum.
Zum ersten Mal nach acht Jahrzehnten sind das „Diptychon von Melun“ von Jean Fouquet und das den Rahmen des zweiteiligen Gemäldes einst bekrönende Emailmedaillon, das ein Selbstbildnis des Künstlers zeigt, wieder vereint.
Das Diptychon des Buch- und Tafelmalers Jean Fouquet (um 1420 bis 1478/81) aus der Stiftstkirche von Melun, etwa 60 Kilometer südöstlich von Paris gelegen, ist eines der Hauptwerke der französischen Malerei an der Schwelle von der Spätgotik zur Frührenaissance und der Kunst des 15. Jahrhunderts überhaupt. Sein kleinformatiges Selbstbildnis aus dem Louvre, das von Stolz und Selbstbewusstsein des Künstlers zeugt, ist eine Inkunabel der europäischen Malerei.
In dem Diptychon zeigt sich die ganze Kunst Fouquets, die Buchmalerei und die Errungenschaften der flämischen und der italienischen Kunst seiner Zeit harmonisch zusammenzufügt. Fouquets große Vorbilder waren Rogier van der Weyden, Jan van Eyck, Barthélemy d’Eyck und Fra Angelico, den er wohl 1445 in Rom persönlich getroffen hat.
Die ehemals linke Tafel des Diptychons befindet sich seit 1896 im Besitz der Gemäldegalerie. Zuvor war sie 70 Jahre lang im Besitz der Familie Brentano. Die Berliner Tafel zeigt das Bildnis des Auftraggebers, des königlichen Schatzmeisters Étienne Chevalier (1410-1474), und seines Namenspatrons, des ersten christlichen Märtyrers, des heiligen Stephan (1-36/40), in einer ziemlich realistischen, aber dennoch stilisierenden Darstellung, so Kurator Stephan Kemperdick. Was den Betrachter einnimmt, sind die großen Flächen, die riesigen Formen und Farben der lebensgroßen Figuren in einer Renaissance-Architektur.
Im Vordergrund kniet der prachtvoll in kostbarem dunkelrotem Samt gekleidete Chevalier und betet. Hinter ihm steht sein Schutzpatron. Eine Hand hat der Heilige schützend auf die Schulter des Adeligen gelegt, in der anderen hält er ein Buch, auf dem sein Marterinstrument, ein scharfkantiger Stein, liegt.
Beide blicken hinüber zur ehemals rechten Tafel des Diptychons, die das Museum für Schöne Künste in Antwerpen nach Berlin ausgeliehen hat. Sie zeigt eine Muttergottes in der Mode der Zeit, mit hoch rasierter Stirn, faltenlosen, prallen Zügen und elfenbeinbleicher Gesichtshaut. Ihr Mieder ist aufgeschnürt. Die üppige linke Brust ist entblößt. Religiosität und Erotik seien damals keine Gegensätze gewesen, sagt Kurator Kemperdick. Umgeben sind Maria und das Jesuskind auf dem perlen- und edelsteinverzierten Thron aus Gold und Marmor von drei blauen und sechs roten Engeln, die Fouquet – ganz neuartig für die Malerei nördlich der Alpen – als Putti gemalt hat.
Die kleine, feine Ausstellung ist in zweierlei Hinsicht eine Sensation: Sie führt die Teile eines Kunstwerks zusammen, das vor 250 Jahren zerlegt und in seinen Einzelteilen verkauft wurde. „Eine unmögliche Ausstellung, die möglich gemacht wurde“, schwärmt denn auch Generaldirektor Michael Eissenhauer. Eine „atemberaubende“ Schau, die es nur einmal im Leben geben wird, sagt der Antwerpener Kunstmuseumsdirektor Manfred Sellink.
Zum anderen gelingt es der Gemäldegalerie, zwei von der Fachwelt diskutierte Thesen zu untermauern: Dank weiterer ausgesuchter Objekte in der Schau, die das Umfeld Fouquets und sein künstlerisches Schaffen näher beleuchten, kann die Urheberschaft eines Bildnisses, das das Kunsthistorische Museum in Wien überhaupt zum ersten Mal auf Reisen geschickt hat, dem Maler zugeschrieben werden. Und es besteht kaum mehr ein Zweifel, in der Madonna die Geliebte des französischen Königs Karl VII., Agnès Sorel, zu erkennen.
Die Ausstellung veranschaulicht Kunstgeschichte aufs Beste und ist zugleich ein tiefer Genuss. KEN
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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