Wenn die eigene Erfindung nervt: Autorin Martina Wildner gab Einblick in ihr Schreiben
Waidmannslust. Zur offiziellen Eröffnung der siebten Reinickendorfer Sprach- und Lesetage gab die Jugendbuchautorin Martina Wildner am 10. Juli in der Katholischen Schule Salvator interessante Einblicke in die Schriftstellerwerkstatt.
Ein Autor hat viele Freiheiten. Zum Beispiel die, eine Figur, die langweilt und nervt, bald wieder aus der Handlung verschwinden zu lassen. So geschieht es dem sechsjährigen Nick, einer Person aus Martina Wildners letztem Roman „Finsterer Sommer“. Er steht zwar in der Liste wichtiger Personen, die Wildner der Handlung voran gestellt hat. Er ist aber schon dort als „Nervzwerg“ betitelt.
Dabei ist sein Auftreten durchaus lustig. Er lispelt, und er ist in Sachen Geschichte völlig unwissend. Um Geschichte geht es nämlich immer wieder, denn die ist im Roman wie in der Wirklichkeit unübersehbar. Die Hauptfiguren, eine Münchner Familie, machen Urlaub an der französischen Atlantikküste. Dort erhebt sich ein Bunker aus dem Meer, einer von vielen militärischen Bollwerken, die die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs und der Besetzung Frankreichs als Atlantikwall schuf.
Autorin Wildner, bisher schon ausgezeichnet mit dem Peter-Härtling-Preis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis, kam auf das Thema, als sie selbst mit ihrer Familie Urlaub in Frankreich machte, und am Strand ständig einen solchen Betonkoloss vor Augen hatte.
Der Bunker zieht natürlich die Neugierde der Menschen auf sich, zumal bald klar ist, dass sich nicht zufällig einige Menschen besonders für ihn interessieren. Der dreizehnjährige Konrad, der zugleich der Ich-Erzähler des Romans ist, muss sich bald für zwielichtigere Menschen interessieren als für den „Nervzwerg“, der nach einigem erfolgreichen Nerven samt Mutter nach Hause geschickt wird.
Das ist die Freiheit einer Autorin, die eine spannende Geschichte um durchaus komplexe Themen entwickelt. Es geht um Schuld und Rache, aber auch um den Tod. Und zwar sowohl um den Tod von Menschen, die vor mehreren Jahrzehnten starben, als auch den von nahen Angehörigen. Konrad hat eine gleichaltrige Cousine, deren Mutter erst vor kurzem gestorben ist. Die Mütter der beiden Jugendlichen waren lange Zeit zerstritten, und das hat wiederum mit dem zu tun, was in den 1940er Jahren rund um den Bunker an der französischen Küste geschah.
Im Gespräch mit den Schülern der Salvator-Schule lässt die Autorin Martina Wildner auch durchblicken, dass sie mit dem Romantitel „Finsterer Sommer“ nicht ganz glücklich ist. Der Titel eines Buches sei oft schwer zu finden, Autor wie auch Verlagsmitarbeiter müssten da intensiv zusammen arbeiten.
Ohnehin: Schriftstellerei ist Arbeit, auch das erklärt die Grafikdesignerin und Autorin ihren jungen Zuhörern. Wenn sie morgens ihre Kinder versorgt und zur Schule gebracht hat, setzt sie sich an den Schreibtisch. Dort hat sie bisher jede Frist eingehalten, in Zeitnot geriet sie nie. Das strukturierte Arbeiten zeigt sich dann auch an der Flüssigkeit des Textes, der angemessen um sonst so sperrige Themen wie Todeserfahrung und Vergangenheitsbewältigung kreist.
Bei den Reinickendorfer Sprach- und Lesetagen gastieren Schriftsteller vor allem in Schulen und Jugendeinrichtungen. CS
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.