Günter Roßnagels Schlafzimmer lag neben einem Wachturm
Heute sind es an die 1000 Einwohner, schätzt der 73-Jährige. "Es gibt viel mehr Verkehr, neue Häuser, es ist nicht mehr ganz so friedlich."
Roßnagel stammt aus einem kleinen Ort bei Heidelberg. 1976 lernte er seine Frau, eine Berlinerin kennen, zog zwei Jahre später nach Steinstücken, "Großstadt ist nichts für mich". Aber fühlte er sich nie eingemauert? Schließlich war die Exklave gerade mal zwölf Hektar groß und hatte mit der Bernhard-Beyer-Straße den einzigen Zugang nach Zehlendorf und dem Rest der Stadt. "Ich habe mich schnell daran gewöhnt", sagt Roßnagel. Immerhin gab es keine Kontrollen mehr, wie von 1961 bis 1972, bis zum Bau der Verbindungsstraße. Allerdings: Sein Schlafzimmer lag nur zehn Meter von einem Wachturm entfernt. "War schon laut, wenn die Grenzsoldaten sich bei der Ablösung nachts um 2 Uhr die neuesten Fußballergebnisse per Megaphon zuriefen." An Weihnachten seien "die Jungs" im Turm oft traurig gewesen, "dann habe ich den Fernseher ins Fenster gestellt, die hatten ja Ferngläser".
Nein, Probleme hätte er nie gehabt, im Gegenteil. Einmal habe er sogar eine Grenzverletzung begangen. "Meine Kaninchen waren aus dem Gehege auf den Mauerstreifen entwischt. Ich habe mich mit Gesten mit den Grenzern verständigt und durfte sie wieder einsammeln." Und 1984 konnten er und sein Nachbar einem jungen Mann helfen, dem gerade die Flucht gelungen war.
Zu den in Steinstücken stationierten US-Soldaten ergaben sich schnell Kontakte, einige Freundschaften halten bis heute. Zum Beispiel auch mit Hubschrauber-Piloten, die bis 1976 im Einsatz waren.
Eine große Rolle in der Ex-Exklave spielt der von Roßnagel 1980 gegründete "Bürgerverein Kleintierzucht und Naturfreunde", dessen Vorsitzender er bis heute ist. Es gibt Freizeitaktivitäten von Bogenschießen bis Yoga, viel dreht sich aber auch um die jüngere Historie. Roßnagel zeigt Super-8-Filme aus der DDR-Zeit, erzählt, dass das Vereinsgrundstück direkt an der ehemaligen Grenze liegt, erst seit dem Mauerfall gibt es einen zweiten Eingang. Und er führt Interessierte zum Denkmal "Am Landeplatz". Dort erinnern zwei Rotorblätter an die Präsenz der US-Schutzmacht und an die "kleine" Luftbrücke. Über sie wurden die Steinstückener in der Zeit ohne Verbindungsstraße versorgt.
An die Mauerfalltage denkt Roßnagel gern: "Es war der Wahnsinn. Unzählige Menschen kamen am 10. und 11. November über die Glienicker Brücke, unsere Vereinsbude war brechend voll." Am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 trank er mit einem der letzten DDR-Grenzer Rotkäppchensekt aus dessen Helm. Dieser sowie eine Mütze hängen heute ganz unspektakulär im kleinen Nebenzimmer des Vereins.
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.