„Meine Mama spinnt“
Bruni Pongratz findet Entspannung am Spinnrad
„Ja, meine Mama spinnt“, sagt Thomas von Hehl über seine Mutter. Diesen Satz durfte er schon zu Grundschulzeiten ungestraft sagen, denn es war nicht etwa despektierlich gemeint. Es entsprach den Tatsachen. Seine Mutter Bruni Pongratz spinnt. Und das mit ganz flauschigen Ergebnissen.
In ihrer kleinen Neu-Westender Wohnung ist es nicht zu übersehen: Diese Frau ist unfassbar kreativ. An den Wänden hängen Bilder, Grafiken und Collagen. Natürlich selbst gemalt. Dazu schmücken etliche Accessoires den Raum: Häkelkissen, gestrickte Decken und vieles mehr. Die meisten Dinge sind in Handarbeit entstanden.
Blickfang in der kleinen Wohnung sind jedoch zwei ungewöhnliche Stücke: zwei Spinnräder. Die altertümlichen Geräte aus Holz sind nicht etwa Deko, obwohl sie tatsächliche sehr dekorativ sind. Aber bei Bruni Pongratz sind sie fast täglich in Betrieb. Dort sitzt sie und spinnt Wolle. In der Regel verarbeitet sie unbehandelte Rohwolle vom Schaf. Die gibt es säckeweise online zu kaufen. Manchmal bezieht sie die Schurwolle auch direkt vom Schäfer. Bevor die Wolle-Bäusche zu Wollfäden gesponnen werden können, werden sie gekämmt oder wie es im Fachjargon heißt: kardiert. Dazu benutzt Bruni Pongratz eine Karde. Das Gerät sieht aus wie eine Drahtbürste. Damit werden die Wollfasern behandelt, in „Form gebracht“ und auf das Spinnen vorbereitet.
„Früher habe ich dafür im heimischen Garten in Möchengladbach viel Platz gehabt“, sagt die Neu-Berlinerin. Vor vier Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, holte sie ihr Sohn in die Hauptstadt. In der Ein-Raum-Wohnung ist der Raum für ihr Hobby doch sehr begrenzt. In der Wohnanlage gibt es zumindest einen großen, grünen Innenhof. Dort sieht man sie oft sitzen und Wolle kämmen.
Nach dem Kämmen oder Kardieren kommt bei Bruni Pongratz die Wolle direkt aufs Spinnrad. „Viele waschen die Wolle vor dem Spinnen, dann ist sie weniger fettig“, erklärt sie. Sie spinnt lieber, wenn die Wolle noch fettig ist und wäscht dann die gesponnenen Fäden. Dann wird gestrickt. Ob Socken, Pullover, Jacken, Decken – die inzwischen fast 80-Jährige strickt sich und ihre Familie fast komplett ein. „Nach dem ...zigsten Paar Socken mussten wir aber auch mal Stopp sagen“, sagt ihr Sohn lachend. Damals kannte man seine Mutter nur strickend. Aber auch heute sieht man sie selten ohne Stricknadeln.
Das Spinnen entdeckte Bruni Pongratz vor zirka 50 Jahren für sich. Damals fand sie in der Zeitung eine Anzeige, in der ein Spinnradkurs angeboten wurde. Schon damals hatte sie viele Handarbeiten gemacht: Nähen, Makramee, Töpfern und eben auch Stricken. Die Idee, die Wolle zum Stricken selbst herzustellen, war faszinierend. Also belegte sie den Kurs. Seitdem hat sie dieses Handwerk nicht mehr losgelassen. Das erste Spinnrad zog ins Mönchengladbacher Haus ein und stand seitdem kaum still. „Meine Mama besuchte uns damals in der Schule und zeigte uns, wie man Schafwolle kämmt und spinnt und daraus Jacken, Westen, Decken und vieles mehr stricken kann“, erinnert sich Thomas von Hehl. So konnte sie vermitteln, wie viel Arbeit in Kleidung steckt und wie viele Schritte notwendig sind, um beispielsweise einen Pullover herzustellen.
Auch jetzt, im Alter, möchte Bruni Pongratz das Spinnen nicht missen. Denn in gewisser Weise hält es sie auch fit. Spinnen erfordere Konzentration und im wahrsten Sinne des Wortes auch Fingerspitzengefühl. „Meine Finger brauchen immer etwas zu tun. Spinnen ist auch sehr entspannend“, sagt die muntere Seniorin.
Bei wem nun das Interesse für dieses außergewöhnliche Hobby geweckt wurde, kann gern Kontakt zu Bruni Pongratz aufnehmen. Das geht über das interkulturelle Stadtteilzentrum Ulme 35 in der Ulmenallee 35. Dort hat die Rheinländerin so etwas wie eine kreative Heimat gefunden. Infos unter interkulturanstalten.de.
Autor:Karla Rabe aus Steglitz |
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