Wie "Willkommen im Westend" Flüchtlingen beim Ankommen hilft
Dieses 200-köpfige Netzwerk leistet Integrationsarbeit in einer Weise, die für eine Stadtgesellschaft von morgen entscheidend sein wird.
Ganz am Rande: freches Pink. In der hintersten Ecke des Saals schiebt ein Mädchen im farbenfrohen Shirt sein Spielzeugauto über den Hallenboden, krabbelt herüber zu einer der Frauen, die ihr hier Geborgenheit geben wollen, nestelt vergnügt an deren Kamera. Der Auslöser macht klack-klack - das Flüchtlingsmädchen lacht. Dann mustert die kleine Roxana mit ängstlichen, dunklen Augen die anderen Gäste: dutzende Nachbarn, die eine Frage ins neue Asylbewerberheim an der Eschenallee führt: Wie können wir Euch helfen?
Dass Heimleiterin Susan Hermenau vom Träger Prisod so viele Engagierte begrüßen kann, geschah nicht ohne Grund. Denn ihre Einladung haben Amei von Hülsen-Poensgen und Felicitas Karimi so multipliziert, dass sie an möglichst viele Ohren drang. Karimi und von Huelsen sind die Triebfedern bei "Willkommen im Westend", einer Initiative, die sich 2013 formierte, als im Charlottenburger Ortsteil gegen ein neues Flüchtlingsheim Widerstand wuchs. Und später dafür den Integrationspreis des Bezirks gewann.
Aber was genau ist das nun, "Willkommen im Westend?" "Im Grunde ein Mailverteiler", sagt Amei von Hülsen. Das Sprachrohr fürsorglicher Nachbarn. Eine Art Kanal, der die Energie von Hilfeleistern so bündelt, dass sie den Hilfsbedürftigen maximal zugute kommt. Wie die mythische Figur Proteus, so wandelt sich auch "Willkommen im Westend" im Lichte der Gegebenheiten. Mal kämpft der Zusammenschluss gegen flüchtlingsfeindliche Tendenzen, mal beschafft er Spendengüter. Und zur Not füllen die Willkommenheißer vom Dienst auch personelle Lücken. "Wir machen das zwar gerne", stellt Karimi klar. "Aber auf Dauer sind wir damit überlastet." Ehrenamt solle staatliche Hilfe ergänzen, nicht ersetzen.
Innerhalb des Bezirks wird der Ortsteil Westend stark beansprucht. Rund 300 Asylbewerber leben in der Soorstraße, über 200 harren in der Turnhalle Waldschulallee aus. Die voll besetzte Unterkunft am Kaiserdamm liegt gleich nebenan. Und das Sozialgefüge? Es hält. Westend gilt als gutbürgerlich und wohlhabend. Nicht zuletzt dank "Willkommen im Westend" ist es auch solidarisch. Während Villenbewohner in Hamburg-Harvestehude ein Heim gerichtlich verhinderten, sagten die Westender nach anfänglichen Zweifeln ja. Stärker als das Unbehagen war die Einsicht, dass die Umnutzung der ehemaligen Psychiatrie in der Eschenallee mehr Würde zulässt, als das Hausen in Turnhallen.
Ende April wird mit der Hallennutzung Schluss sein, so haben es Sozialstadtrat Carsten Engelmann (CDU) und das zuständige Landesamt versprochen. "Das war eigentlich nur als Notlösung zu akzeptieren", sagt von Hülsen. Sechs Monate dauert sie schon, die Not. Deutschkurse, Kinderbetreuung, Freizeitangebote - das alles veranstaltet "WiW" in der Waldschulallee unter Basketballkörben.
Flüchtlingshilfe, das erfahren alle Engagierten, braucht Zeit und Nerven. Schon die Vokabel "Flüchtling" wird der Realität kaum gerecht. "Sie selbst sehen sich keineswegs als Flüchtlinge", erklärt Heimleiterin Hermenau. Was diese Menschen statt Mitleid brauchen: Geselligkeit auf Augenhöhe, Selbstwertgefühl, Anschluss an die neue Umgebung. "Wir sagen ihnen: Geht raus unter Menschen. Das heißt Integration." Es handelt sich eben nicht um eine einseitige Bringschuld, das haben Karimi, von Hülsen und ihre Mitstreiter längst verstanden. Integration in Westend? Ein Ankommen und Willkommenheißen.
Während Hermenau weiterspricht, macht sich Roxana wieder an der Kamera zu schaffen. Sie hört das Klack-Klack eines Gerätes, das mehr gekostet hat, als ihre Verpflegung für einen Monat. Wo sie herkommt? Was sie erlebt hat? Die Westender werden es erfahren. Es sind vielleicht die ersten Tage in ihrem Leben, an denen Roxana an einem Ort willkommen ist.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.