Weiter auf Rekordkurs: Droht am ZOB der Fernbus-Kollaps?
Westend. Am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) bekommen Reisende den Branchenboom hautnah zu spüren. Wer es nicht eilig hat, reist von hier aus für unter 30 Euro in den Urlaub. Das Angebot ist riesig, der Preiskampf erbittert. Noch 2015 soll an der 60er-Jahre-Anlage der Ausbau starten. Doch derweil wächst die Branche Berlin über den Kopf.
"Na, da ist ja wie am Flughafen hier", plappert der Busfahrer los. Und die Teenagermädchen, auf einem ganzen Berg von Koffer hockend, danken ihm den Gruß mit leisem Kichern. Flotte Worte gehören dazu, wenn das Verkehrsmittel nicht das schnellste ist. Der Fahrer scannt die Tickets der Mädchen, bugsiert die Koffer in den Bauch des Brummis. Und dann geht die Reise auch schon los. Einmal von Berlin an die Ostsee und zurück - für 29 Euro.
Wochentags kurz vor Ostern sieht man beinahe den ZOB vor Koffern nicht. Im Angesicht von schrulligem 60er-Jahre Design: schmatzende Abschiedsküsse, ratternde Rollkoffer, letzte gemeinsame Seufzer. Fernbeziehungen, Familienzusammenführungen, Klassenfahrten - das alles klappt mit Dieselkraft zum Kampfpreis spielend leicht. Und wöchentlich kommen neue Angebote hinzu. 175 000 An- und Abfahrten gab es am von der BVG betriebenen ZOB im Jahre 2014. Das sind 479 pro Tag.
"Wir erleben derzeit eine ungeahnte Renaissance", beschreibt Roland Prejawa, der Vorsitzender des BVV-Verkehrsausschusses, die Lage. Und der Grünen-Politiker weiß als Gründer des Reiseunternehmens Gullivers Reisen, dass bei einem Überangebot an billigen Busfahrten Freud und Leid dicht beieinander liegen. Soeben habe der ADAC sein Angebot auf 159 Ziele gesteigert, "Berlinienbus" wolle viermal so viele Ziele ansteuern. Und "Mein Fernbus Flixbus" rechnet mit einem Passagierwachstum von 40 Prozent. "Der ZOB droht zu platzen", warnt Prejawa. Schon jetzt herrsche bei der Zufahrt auf der Masurenallee oft Chaos. Und dass sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit dem Ausbau von 27 auf 37 Slots bis zum Jahr 2017 Luft schaffen will, sei kein Grund zum Entspannen. Um den neuen Ansprüchen gerecht zu werden, brauche man 100.
Die Planung, befürchtet Prejawa, ist schon veraltet, bevor man sie in die Tat umsetzt. Es droht eine ähnliche Kapazitätsknappheit wie am BER, wenn er denn eröffnet. Die Folge: Verlagerung des Abfertigungsbetriebs weg vom ZOB, hin in die Innenstadt. Alexanderplatz, Alt-Tegel, Bahnhof Südkreuz und der Bahnhof Zoo - das dürften begehrte Ausweichstationen werden. Schon jetzt gilt die Stickoxidbelastung am Hardenbergplatz als bedenklich hoch.
Aber obwohl der ZOB-Umbau in diesen Monaten beginnen soll, ist bei Stadtrat Marc Schulte (SPD) noch kein Antrag eingegangen. Dafür weiß er von Senatsplänen für eine Erweiterung des Areals, die den Straßenraum der Soorstraße einschließen. Wohl mit Folgen für den Westender Verkehr. "Das dürfte für Aufsehen sorgen", glaubt Schulte. Den Boom der Billigreisen auf Asphalt erklärt er sich damit, dass die Bahn Trassengebühren zahlen muss, aber eine entsprechende Autobahngebühr für Busse bislang fehlt. Sollte die Gebühr kommen, wären wohl auch die Wachstumsprognosen dahin.
Ein zweites Ärgernis neben Stau- und Abgasproblemen: die fußläufige Erreichbarkeit des ZOB über eine dunkle Unterführung. Nicht nur geschmacklich scheint die orangefarbene Passerelle von gestern. Eine oberirdische Straßenquerung ohne Ampel erwies sich aber schon mehrfach als lebensgefährlich. Hier setzt Schulte seine Hoffnungen auf einen Workshop im Juli, bei dem ein Architektenbüro Ideen liefert, das schon den Times Square in New York neu gestalten durfte. Lange bevor die Deutschen ihre Liebe zum Bus entdeckten, waren die USA als Hochburg bekannt. Dort erschließt das Unternehmen "Greyhound" den ganzen Kontinent. Und der Abschiedskuss im Dieseldunst - er ist längst ein Motiv für Filme und Romane.
Thomas Schubert / tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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